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    Liessmann: Bildung heißt verstehen  

Ute Brühl - Kurier   2015-11-11    
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Wird das Internet das Lernen revolutionieren? Warum der Philosoph Konrad Paul Liessmann nicht daran glaubt und wie er die die Rolle des Lehrers sieht.
Schon für die Frage, ob und wie jemand ein Gedicht verstanden hat, gibt es keinen Algorithmus...
Entscheidend ist doch, dass jede Erkenntnis, jedes Wissen und Verstehen, jede Fähigkeit das Merkmal der Persönlichkeit ist.
Was würde ich von einem Menschen halten, der z. B. bei der Frage "Gefällt dir dieses Bild?" zuerst schaut: Wie oft wurde es geliket?
Und sich dann der Mehrheitsmeinung anschließt?


Smartphones, die Lehrer ersetzen. Algorithmen, die die Studienwahl bestimmen. So sieht Jörg Dräger von der Bertelsmann-Stiftung die Zukunft des Lernens im Buch "Die digitale Bildungsrevolution". Warum der Philosoph Konrad Paul Liessmann sich über digitale Helferlein zwar freut, aber auch Gefahren sieht, erläutert er im Interview.

KURIER: Wie bewerten Philosophen die digitale Bildungsrevolution?

Konrad Paul Liessmann: Es gibt grob gesprochen zwei Tendenzen – die euphorische und die apokalyptische. Die Euphorische sieht in der Einführung einer neuen Technologie einen qualitativen Sprung. Die Idee dahinter ist, dass die Digitalisierung einen völligen Wandel des Umgangs mit Informationen und der Kommunikation bewirkt und wir dadurch eine neue Souveränität und Freiheit gewinnen. Die andere Position ist skeptisch und betont, dass noch kein neues Medium ein altes ersetzt hat. Es hat weder das Fernsehen das Theater ersetzt noch die Schallplatte den Konzertsaal, und auch die Digitalisierung wird weder das Buch ersetzen noch das Lernen revolutionieren. Jedes neue Medium eröffnet zwar neue Freiheiten, gleichzeitig verlieren wir alte Fähigkeiten. Schon Platon hat dies am Beispiel der Erfindung der Schrift diskutiert. Diese führe dazu, dass die Menschen ihr Gedächtnis verlieren, weil sie nun alles auslagern können. Mit den digitalen Speichern und der raschen Verfügbarkeit der Information ist eine neue Dimension dazugekommen. Es ist ein Unterschied, ob ich weiß, dass in der Nationalbibliothek Bücher stehen und ich könnte sie lesen, oder ob ich weiß, dieses Buch steht mir in seiner digitalisierten Form jederzeit zur Verfügung. Aber auf etwas zugreifen können bedeutet noch nicht, dieses aufgenommen und verstanden zu haben. Bildungspolitisch und -philosophisch stellt sich eine große Frage: Wenn wir Bildung als die Persönlichkeit verstehen, die durch das entwickelt wird, was ein Mensch aufgenommen und verarbeitet hat, kann man sich fragen: Wer sind wir, wenn wir nichts mehr verarbeiten, sondern nur noch auf alles Zugriff haben?

Wie ändert sich die Rolle des Lehrers durch die Digitalisierung?

Ich glaube nicht, dass er nur ein Coach sein wird, der hilft, falls jemand online nicht zurechtkommt. Der Lehrer wird eher als Person und Persönlichkeit gefragt sein, als die Instanz, die nicht nur Anregungen gibt, sondern das verkörpern muss, was es sich lohnt zu wissen. Er weiß, wo in der unendlichen Datenflut die wichtigen Dinge stecken und wie man sich diese aneignen kann – eine uralte Funktion des Lehrers. In einer Zeit, in der es Hunderttausende Bücher gab, hätte ein guter Lehrer gesagt: "Lies dieses Buch, denn es ist wichtig." Eine Persönlichkeit, der man abnimmt, dass sie weiß, warum man etwas lesen soll, ist etwas anderes als jemand, der sagt: "Lies irgendetwas und wenn du lieber Filme guckst, macht’s auch nichts." Das würde dazu führen, dass vollkommene Orientierungslosigkeit herrscht. Das heißt nicht, dass man die Position eines Lehrers übernehmen soll – aber um sich mit einer Position auseinanderzusetzen, muss diese erst einmal jemand vertreten. Mit der Freiheit autonomen Lernens kommen nur jene zurecht, die von zu Hause starke Bezugspersonen haben, die dort ästhetische und ethische Werturteile tradiert bekommen haben und sich daran abarbeiten können. Wer das nicht hat, ist hilflos. Es ist keine Aufgabe der Schule, Hilflosigkeit zu erzeugen.

Wird Bildung demokratischer, wenn jeder Zugriff zu Vorlesungen hat? Ist das ein Angriff auf Eliten?

Es ist zu optimistisch zu glauben, wir hätten einen Demokratisierungsschub, weil die Leute nicht mehr Bücher lesen müssen, sondern sich Videos von Vorlesungen anschauen können. Abgesehen davon: Wir haben bisher in Pädagogik großen Wert darauf gelegt, in kleinen Gruppen zu arbeiten und einen intensiven sozialen Austausch zu pflegen. Klassen mit mehr als 30 Schülern gelten als problematisch. Jetzt heißt es: Einer hält eine Vorlesung und Hunderttausende schauen sich das an, und das reicht. Das ist eine asoziale Form des Lernens. Lernen ist aber eine soziale Aktivität. Die Gewinne durch solche asozialen Lernformen sind immer punktuell. Und was die Eliten betrifft: daran wird sich nicht viel ändern. Sie finden immer Möglichkeiten, sich als nahezu geschlossene soziale Schicht zu reproduzieren, wenn nicht Harvard , dann etwas anderes.

Was sind Zertifikate noch wert, wenn man Wissen außerhalb von Institutionen erwerben kann?

Das kommt darauf, ob Zeugnisse als verlässliche Information über Wissen und Können der Zeugnisinhaber gewertet werden. Gegenwärtig erleben wir eine Inflation guter Noten, und das erhöht die Skepsis gegenüber dem Wert von Zeugnissen. Interessant wird sein, wie Arbeitgeber darauf reagieren. Es ist eine blauäugige Vorstellung, dass ein Zeugnis weniger wichtig ist als die Frage, was man gepostet hat. In der EU steigt übrigens der Druck, Abschlüsse mit Zertifikaten zu erwerben, gleichzeitig propagiert die von der EU geförderte Softwareindustrie den Ausstieg aus institutionalisierten Bildungsgängen. Meine These: Nicht zertifizierte Qualifikationen werden zwar an Bedeutung zunehmen und deren Trägern Chancen eröffnen, dies wird aber nicht zur Regel werden.

Das gilt für Europa. In den USA sieht das vielleicht anders aus.

Sie denken an Steve Jobs und Bill Gates? Erfolgreiche Studien- und Schulabbrecher gibt es auch hierzulande, nehmen Sie Niki Lauda, der sein Maturazeugnis gefälscht haben soll. Natürlich wird es immer Karrieren abseits der Institutionen geben, und das ist gut so. Aber das ist kein Modell für die Ausbildung, Bildung und Beschäftigung von Millionen junger Menschen.

Algorithmen erstellen individuell zugeschnittene Lernsoftware. Algorithmen entscheiden, welches Studium ich beginnen darf. Wird der Mensch so optimiert?

Man versucht es. Aber der optimierte Mensch ist ein verkürzter Mensch, und der Glaube an die Allwissenheit von Algorithmen ist fatal. Die Erfahrungen mit solcher Lernsoftware sind nicht nur positiv. Diese Art des kontrollierten kognitiven Lernens betrifft nur wenige Dimensionen des Lernens. Schon für die Frage, ob und wie jemand ein Gedicht verstanden hat, gibt es keinen Algorithmus. Bei allen unterstützenden Maßnahmen, die eine Software bietet – problematisch wird es, wenn diese als kommerzielles Produkt vertrieben und Bildungseinrichtungen oktroyiert wird. Dann geht es nicht um Lernfortschritte, sondern um die Durchsetzung kommerzieller Interessen. Lernen – das wissen wir spätestens seit Humboldt – braucht nur eines: Mannigfaltigkeit und Freiheit. Digitalisierung bedeutet immer auch Standardisierung, Normierung, Kontrolle und Einschränkung von Freiheit.

Bedeutet digitale Bildung, dass Kinder heute anderes lernen sollten?

Ich würde keinen Unterschied machen. Die Erfahrung zeigt, dass man nicht wie von selbst über Informationen verfügt, nur weil sie überall verfügbar sind. Auch Meinungsbildner – Journalisten, Politiker, zum Teil Wissenschaftler – nutzen das eben nicht immer. Es gibt Situationen, wo man gefordert wird, zu etwas Stellung zu beziehen, wo es nicht geht, dass ich anfange, erst einmal hektisch mit meinem Smartphone zu hantieren. Da muss ich ein Gespür haben, wie Dinge funktionieren. Dann gibt es Grundlagenwissen, das notwendig dafür ist, Informationen korrekt einordnen zu können. Wenn ich keine physikalischen Grundlagen verstehe, kann ich nicht einmal den Wetterbericht richtig lesen. Informationen, die außerhalb eines Verstehenskontextes rezipiert werden, sind nicht von Glaubenssätzen zu unterscheiden, denen ich ausgeliefert bin. Entscheidend ist doch, dass jede Erkenntnis, jedes Wissen und Verstehen, jede Fähigkeit das Merkmal der Persönlichkeit ist. Was würde ich von einem Menschen halten, der z. B. bei der Frage "Gefällt dir dieses Bild?" zuerst schaut: Wie oft wurde es geliket? Und sich dann der Mehrheitsmeinung anschließt?

Wie soll die Politik auf den digitalen Wandel reagieren?

Wir reagieren ohnehin, manchmal aber viel zu spät. Dass ein von wenigen Konzernen dominiertes Internet ein Kontrollsystem mit wahnhaften Zügen werden kann, liegt im System. Bestimmte Tendenzen – den Schutz der Privatsphäre oder Cybermobbing in Schulen – hätte man frühzeitig erkennen und darauf beratend sowie durch Regeln reagieren können. Ich habe das Gefühl, dass mit der Einführung neuer Technologien hohe Erwartungen verbunden sind, die sehr schnell enttäuscht werden. Ich habe ja schon etliche technologische Bildungsrevolutionen erlebt. Vor 40 Jahren wurde prophezeit, welche didaktischen Innovationen Overheadprojektor oder Videorecorder mit sich bringen werden. Das ist schnell verpufft. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir: Bei der ersten Erfahrung der Welt sind digitale Hilfsmittel schädlich. Kein Kindergarten- oder Volksschulkind muss mit dem Tablet herumlaufen. Was uns ermöglicht, sinnvoll und kritisch mit digitalen Informationsquellen umzugehen, das lernt man, ohne sich der digitalen Technologie frühzeitig ausliefern zu müssen. Wir sind eine Gesellschaft mit vielen Problemen, zu deren Lösung Innovationskraft und Kreativität nötig sein werden. Digitale Geräte tendieren dazu, gerade dies zu minimieren. Ein Kind, das nur liest, braucht viel Fantasie, um sich etwas vorstellen zu können. Beim Videoschauen brauche ich keine Vorstellungskraft. Ohne diese keine Kreativität. Und: Digitale Technologien tendieren dazu, in Blasen zu agieren. Man bekommt nur das vom Algorithmus zurückgespielt, was man hineingegeben hat. Wohl wird man dabei immer in seinen Vorurteilen bestätigt: Nicht besonders klug, wenn man Neues entdecken will.


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