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    Was ist konservativ?   zum Nachlesen! 

Jens Jessen - Die Zeit  2014-08-27    
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Zehn Thesen zu einem politischen Begriff, der von seinen Liebhabern und Gegnern missverstanden wird.


Konservatismus hatte in Deutschland lange keinen guten Ruf. Selbst Politiker der Unionsparteien wollten nicht immer konservativ genannt werden; es hatte den Klang des Verstaubten, des Unbeweglichen und Autoritären, manchmal des Korrupten und Hartherzigen. An alldem konnte, von Fall zu Fall, auch etwas Wahres sein; es traf und trifft aber nicht den Kern des Konservatismus, der das Bewährte gegen einen zweifelhaften Fortschritt schützen will. Die Abwertung des Konservativen hatte vielmehr damit zu tun, dass der Fortschritt in der Nachkriegszeit für die allermeisten nur Segen gebracht hat: die Emanzipation der Frau, den Abbau autoritärer Strukturen, die Zunahme von Aufstiegsmöglichkeiten, Massenwohlstand und ganz allgemein die Demokratisierung der Gesellschaft. Wer diesen Fortschritt bekämpfte oder bremsen wollte, konnte nur ein schlechter Mensch sein, der tradierte Privilegien und Machtverhältnisse gegen eine hellere Zukunft verteidigte.

Was aber, wenn der Fortschritt seine Richtung ändert und sich gegen die emanzipatorischen Errungenschaften wendet? Wenn die Globalisierung den Wohlstand gefährdet, die wirtschaftliche Entwicklung die Frauen an den Herd zurückdrängt, die Technik die Freiheit bedroht und autoritäre Strategien begünstigt, die Konkurrenzfähigkeit auf internationalen Märkten nur um den Preis verminderter Sozialleistungen erhalten werden kann? Dann kann mit einem Male das, was einst gegen konservative Kräfte durchgesetzt wurde, selbst zu einem Gegenstand konservativen Bewahrens werden. Es sollte nicht wundernehmen, wenn die Bundesrepublik, die lange – und auch von den Unionsparteien – im Namen des Fortschritts regiert wurde, heute quer durch alle Lager eine konservative Wendung nähme. 

Konservatismus hat ein Doppelgesicht. Er kann – je nach Standpunkt, so scheint es – sowohl etwas schlechtes Bestehendes (Privilegien, Machtverhältnisse, tradierte Vorurteile) wie auch etwas gutes Bestehendes schützen (Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, soziale Errungenschaften). Er kann eine Diktatur ebenso wie eine Demokratie bewahren wollen, sowohl auf der rechten wie auf der linken Seite des politischen Spektrums auftreten. Das ist aber nur scheinbar eine Frage des Standpunktes. In Wahrheit ist es eine Frage, worin das Bestehende gerade besteht. 

Konservatismus ist ein relativer Begriff.Oskar Lafontaine, als er sich gegen die Wiedervereinigung aussprach, handelte als konservativer Politiker, indem er die alte Bundesrepublik bewahren wollte.  Helmut Kohl, als er ebendiese Wiedervereinigung betrieb, handelte konservativ, indem er an dem tradierten Ideal eines vereinigten Deutschlands festhielt. Einem konservativen Impuls folgten auch alle Politiker, die sich gegen einen Regierungsumzug von Bonn nach Berlin wandten. Die PDS, bevor sie in der Linkspartei aufging, war eine konservative Partei, insofern sie die Errungenschaften der DDR (oder was sie dafür hielt) schützen, verteidigen und vor übler Nachrede bewahren wollte. In dem Maße, in dem dies aussichtslos wurde, wandelte sie sich in eine reaktionäre Partei, die einen verlorenen Zustand und verlorene Ideale (des Sozialismus) wiederherstellen wollte. Konservativ war die sozialdemokratische Opposition gegen Gerhard Schröder, die sich der Modernisierung und kapitalismusfreundlichen Umgestaltung der Partei widersetzte. Die Gewerkschaften, solange sie noch Arbeitnehmerrechte eroberten, waren fortschrittlich und links; sie wurden konservativ aber in jüngerer Zeit, als es nur noch darum gehen konnte, das Eroberte zu bewahren. 

Es gibt auch linken Konservatismus. Die Position ist nicht so paradox, wie Joachim Gaucks Selbstaussage auf manche wirkte. Linke werden konservativ, wenn sich linke Politik schon einmal durchgesetzt hat, dann aber in die Defensive geraten ist. Was es dagegen nicht geben kann, ist linker Konservatismus im prinzipiellen Sinne – das ist ein Widerspruch in sich, weil der Linke grundsätzlich verändern, der Konservative grundsätzlich bewahren will. Gleichwohl können Linke und Konservative einen gemeinsamen Gegner haben: Das ist zum Beispiel der neue Liberalismus, der weder verändern noch bewahren, sondern alles dem freien Spiel der konkurrierenden Kräfte auf dem Markt überlassen will. 

Der Konservative fürchtet den Fortschritt. Er fürchtet ihn nicht nur im Gewand von linken Reformen oder Revolutionen, sondern auch im Gewand ungehemmter technischer oder wirtschaftlicher Entwicklungen. Insofern kann der Konservative durchaus wirtschaftsfeindlich sein (man denke an Helmut Kohls schlechte Meinung über die Mentalität von Unternehmern), er kann sogar – und war es vor dem Krieg fast immer – deutlich antikapitalistisch sein. Die Trägerschicht des alten deutschen Konservatismus – Grundbesitzer, Militärs, Beamte – erwartete sich von der Industrie nichts Gutes. Liberal, also im Vertrauen auf die Marktkräfte, wird der Konservative nur agieren, wenn dieses Marktvertrauen zu der Tradition eines Landes gehört – also etwa in Amerika oder England. Der Konservative kann Fortschritt höchstens in kleinen Häppchen dulden, solange er bestehende Strukturen und Werte vorsichtig veränderten Zuständen anpasst – und damit ihr Überleben sichert. In seinen Augen hat sich grundsätzlich nicht das Bestehende, sondern der Wunsch nach Veränderung zu rechtfertigen. 

Konservatismus ist eine skeptische Haltung. Er misstraut Fortschrittsglauben und Technik vor allem deshalb, weil er in ihnen menschliche Allmachtsfantasien argwöhnt. Es scheint ihm stets zweifelhaft, ob der Mensch alle Folgen und Nebenfolgen seines Handelns abschätzen kann – ob also eine zum Guten geplante Veränderung nicht am Ende das Schlechte befördern wird. Darauf beruht auch seine Abneigung gegenüber Revolutionen – und nicht nur auf Angst um Besitzstände oder auf Ablehnung der revolutionären Ideale, die manchmal sogar seine eigenen sein könnten. Während der Linke stets denkt, dass er nur die Wurzel des einen großen Übels ausreißen muss, um auch alles andere zum Besseren zu wenden, fürchtet der Konservative die Heteronomie der Zwecke: dass der Nutzen an einer Stelle immer Schaden an anderer Stelle bedeutet. Im Übrigen glaubt der Konservative auch nicht an die Güte der Menschennatur oder gar daran, dass Politik den Menschen bessern könne. Deswegen ist halbherzige, taktierende und nicht allzu moralisch motivierte Politik in konservativer Sicht gute Politik: weil sie verhindert, dass man unwillentlich alles noch schlimmer macht. 

Konservative Politik ist Machtpolitik. Weil der Konservative im Menschen immer auch das Böse sieht, weil er an idealistische Konzepte nicht glaubt, wird sein politischer Blick in allen Problemen eher Machtfragen, Interessengegensätze und erst ganz zuletzt Wertkonflikte sehen. Macht ist schließlich auch vonnöten, um das Bestehende vor unkontrollierter Veränderung zu schützen. Auf der Skala zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik, die Max Weber entworfen hat, wird der Konservative es immer mit der Verantwortungsethik halten, also Moral nur im Rahmen des Möglichen zulassen. Von Gesinnung hält er gar nichts. Im besten Fall ist der konservative Politiker also ein nüchterner Realist, im schlechteren Fall ein Zyniker, im schlimmsten ein bedenkenloser Opportunist. Der schlechte Ruf, der konservativer Politik anhaften kann, hat hier seine Wurzel. Der Mensch, wenn er schlecht ist, darf auch betrogen werden. Die Partei, die in jüngerer Zeit dem Konservatismus Schaden zugefügt hat, war die CDU des späten Helmut Kohl. Man kann sich vorstellen, dass die illegalen Parteispenden gar nicht als moralisches Problem gesehen wurden; sie dienten schließlich dem Machterhalt der Partei, die ihrerseits dem Bürger half, seine Besitzstände zu sichern. Im schlimmsten Fall versucht konservative Politik, von der unterstellten Schlechtigkeit des Menschen sogar zu profitieren. Roland Koch in Hessen ist seinerzeit so verfahren, als er eine latente Ausländerfeindlichkeit für seine Wahlkämpfe mobilisierte. 

Der Konservative ist kein Reaktionär. Schon sein Realismus würde es ihm verbieten, verlorene Zustände wiederherstellen zu wollen. Dass der Konservative und der Reaktionär manchmal zusammengedacht werden, ist ein Missverständnis und wird plausibel nur in einer radikal linken Perspektive, die gewissermaßen schon aus der politischen Zukunft zurückblickt, von der aus alles konservative Festhalten an der Gegenwart rückschrittlich erscheinen muss. Der Reaktionär will aber nichts konservieren, er ist ein Idealist oder, besser noch: ein rückwärtsgewandter Utopist, der alles Schöne, Richtige in der Vergangenheit schon einmal verwirklicht und nur durch die Moderne verspielt und sinnlos geopfert sieht. Den Reaktionär, wenn er kein Putschist ist, kümmert es nicht, dass er, worum er trauert, nicht wiederbekommen wird – auch das ist eine Haltung, die dem Machtinstinkt des Konservativen widerstrebt. Das Reaktionäre ist letztlich eine kulturkritische Haltung, und nur darin, in ihren modernefeindlichen Pointen, führt ein Brückchen ins konservative Lager: die bedrohte Familie, der verlorene Glaube, die respektlose Jugend, der verblasste Glanz des Militärs. 

Hitler war nicht konservativ. Die Nationalsozialisten führten eine rücksichtslose Modernisierungsbewegung an, die alle Züge einer Revolution hatte und den Sozialismus nicht nur im Namen trug. Recht, Ordnung, Besitz, Bildung – alles, was Konservativen am Herzen liegt, traten sie mit Stiefeln. Bekanntlich begrüßte Bertolt Brecht sogar Hitler insofern, als er den Junkern und Bürgerlichen endlich den Garaus machte. Dass der Konservatismus von seinen politischen Gegnern gelegentlich mit dem Nationalsozialismus assoziiert wurde, könnte irreführender nicht sein. Wahr ist allerdings, dass es konservative Kreise gab, die dachten, sie könnten sich die Nazis zu ihren Zwecken dienstbar machen. Dass sie das dachten und für möglich hielten, obwohl ihnen die Abscheulichkeit des Gesindels deutlich vor Augen stand, hat wieder mit dem oft verhängnisvollen Pragmatismus, taktischen Machtkalkül, auch Opportunismus des Konservatismus zu tun. Wahr ist aber auch, dass unter den Verschwörern des 20. Juli vor allem Konservative waren, die ihren Irrtum eingesehen hatten (oder ihm, wie Beck und Goerdeler, nie verfallen waren). 

Konservatismus ist bürgerlich. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Bürgerliche Schichten werden dem Konservatismus eher zuneigen als andere, insofern sie etwas zu verteidigen haben, Besitz, Einfluss, Bildung. Anderseits akkumuliert sich bei Bürgerlichen, jedenfalls wenn sie die Chance haben, über einige Generationen zu bestehen, auch schlechtes Gewissen gegenüber den ererbten Privilegien; das ist der Grund, warum sich unter Sozialdemokraten immer auch Bürgerliche gefunden haben und die grüne Partei eine fast ausschließlich bürgerliche Klientel hat. Manchmal ist es purer Geschäftsinstinkt, der den Bürgerlichen die Einsicht vermittelt, dass man nicht so weiterwursteln kann wie bisher – gerade wenn man seine Stellung sichern will. Manchmal vermittelt auch Bildung eine Einsicht in das Transitorische aller Zustände, die das reine Festhalten als illusorisch erkennen lässt. Alles in allem – Konservatismus lässt sich nicht eindeutig soziologisch zuordnen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass er dort auftritt, wo es etwas zu verlieren und nicht durch Fortschritt zu gewinnen gibt. 

Der Konservative ist männlich. Man wird nicht leicht eine Frau finden, die sich als politisch konservativ versteht – auch wenn sie in Kleidung und Kunstgeschmack, nach Herkunft und Lebensstil und selbst in der Ablehnung revolutionärer Umtriebe eindeutig konservative Züge trägt. Weder Margaret Thatcher noch Angela Merkel haben etwas daran ändern können, dass in dem Begriff immer so etwas wie die Zigarre mitqualmt, die am Biertisch von dröhnenden Patriarchen geraucht wird.

Dass jeder Schritt und jedes Schrittchen weiblicher Emanzipation gegen die konservativen Parteien ertrotzt werden musste, ist unvergessen, und dagegen vermag keine Patchwork-Familie, keine entspannte Auflösung herkömmlicher Verhältnisse bei konservativen Politikern zu zeugen. Tatsächlich sind es aber nicht mehr deren Widerstände, an denen die Forderung nach Gleichberechtigung noch scheitern könnte, sondern Arbeitslosigkeit und Wirtschaftslage. Es gibt sogar Politikerinnen in der  Linkspartei, die Frauen wieder an den Herd zurückweisen möchten, um den Arbeitsmarkt zu entlasten. Kurzum: Die Sicherung der schon errungenen Emanzipation ist längst ein konservatives Projekt geworden.


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