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Diktat der Verbote
Diktat der Verbote

Lust-Neid „Der Ärger kommt immer dort, wo man den Genuss anderer vermutet“, sagt der Wiener Philosoph Robert Pfaller.
Beim Versuch, am liebsten ewig zu leben, töten die Menschen ihr Leben schon vor dem Tod, sagt der Philosoph Robert Pfaller.
Weil sie sich alles, was das Leben lebenswert macht, verbieten oder verbieten lassen.
Ein Gespräch über Angsthasentum, einen Staat, der vorgibt, uns zu schützen, und über die auf der Strecke bleibende Lust.


KURIER: Haben Sie in den letzten Tagen noch Lust auf Gurken oder Sprossen gehabt?
Robert Pfaller: Dass wir uns manchmal zurecht vor etwas fürchten, heißt nicht, dass wir in vielen Fällen nicht verrückt und paranoisch sind und ein bisschen unerschrockener mit dem Leben umgehen könnten.

Schweinegrippe, EHEC, Atomkraft - die Lust an der Panik vor dem Untergang lassen wir uns nicht rauben.
Es gibt drei verschiedene Verhältnisse zur Einbildung: Am lustvollsten ist das dort, wo wir die wenigste Identifizierung zur Einbildung haben - etwa wenn wir uns im Fasching verkleiden und wissen, dass das Unsinn ist, aber daraus Freude beziehen. In einem nächsten Schritt tritt eine asketische Wendung ein: Wenn wir aus dem Wissen, dass etwas Blödsinn ist, die Konsequenz ziehen, dass wir es nicht machen, weil wir klüger sind als die anderen. Das ist zum Beispiel so beim Rauchen. Dabei übersehen wir, dass die anderen gerade aus diesem Wissen über die Unvernunft eine ganz bestimmte Lust beziehen. Aber aus der Einbildung, klüger und verantwortungsbewusst zu sein, erzielen wir Selbstachtung.

Das erklärt noch nicht die Lust an der Panik.
Das ist der nächste Schritt dieser Entwicklung: Das paranoische Bewusstsein, dass völlig ergriffen ist von dem, was es sieht, beziehungsweise von der Einbildung. Da gibt es keine Distanz mehr, da schreit alles nach Sofortmaßnahmen.

Die Ratio müsste sagen: Autofahren ist hundert Mal gefährlicher als Gemüse.
Richtig, aber da geht's nicht mehr um Vernunft, sondern nur um Ergriffenheit - eine Form des Narzissmus.

Die Ich-Bezogenheit, dass uns nichts, aber auch gar nichts passieren darf?
In westlichen Gesellschaften gab es nach 1968 die Befreiung nach dem Motto "Glaub' nur das, was du selbst richtig findest". Das führt dazu, dass niemand mehr etwas relativieren kann. Da steht mir plötzlich etwas Bedrohliches gegenüber, da kommt eine Panik, und man identifiziert sich mit dieser Einbildung.

Das war früher nicht so?
Im Drama "Athalia" von Jean Racine beteiligt sich der Hohepriester Joad an einer Verschwörung und hat keine Angst vor den Folgen, denn, so sagt er, "ich fürchte Gott, und der ist so schrecklich, dass mir alle Gefahren des irdischen Lebens gering scheinen". Und Kommunisten im 20. Jahrhundert, die sich in Todesgefahr begaben, haben sich vorgestellt, dass sie "Tote auf Urlaub sind", weil sie sind ja eigentlich schon tot. Wir in der Postmoderne haben dagegen das Gefühl, eigentlich könnten wir ewig leben, wenn man uns nur ließe, und wenn wir nur sauber lebten. Dass wir dabei das Leben schon vor dem Tod töten, weil wir ganz aseptisch, lustlos, humorlos, postsexuell leben, das vergessen wir dabei. Lieber sind wir Angsthasen, die schon beim Anblick einer Zigarette einen tödlichen Schrecken bekommen.

Sie schreiben zur unterdrückten Lust: "Gelüste werden zunehmend als Ärgernisse wahrgenommen" - woran machen Sie das fest?
Es hat noch nie ein Zeitalter gegeben, wo sich so viele Menschen über alles beschwert haben und sich von allem irritiert gefühlt haben. Menschen fühlen sich ständig belästigt, sexuell, durch Rauch, durch das Braten von Hammeln am Spieß, durch fremdländische Menschen.

Woran liegt das?
Der Ärger kommt immer dort, wo man den Genuss anderer vermutet.

Purer Neid?
Neid auf die Lust des Anderen. Die Lust ist in eine völlig veränderte Wahrnehmung geraten. Früher wurde die Lust noch als ein Teil der Zivilisiertheit verstanden - Fröhlichkeit und Frohsein konnte sogar so etwas wie Höflichkeit sein, um dem anderen die Tristesse zu ersparen ...

Wie in Fernost heute noch.
Genau, oder wie in Italien als Erbe der Renaissance. Aber in der postmodernen Wahrnehmung wird das nicht mehr als Signal verstanden, sich auch besser zu fühlen, sondern man glaubt, der andere ist tatsächlich so
glücklich und freundlich - und weil er's ist, kann ich's nicht sein.

Ausgerechnet die Ich-Bezogenheit als Lustkiller?
Zunehmend heißt es, "sei authentisch, sei ganz du selbst, sei wie du bist" - das verdrängt den klassischen Imperativ der Zivilisiertheit, der da hieß "Jetzt bist du in Gesellschaft, sei entspannter, freundlicher, höflicher, rauch eine Zigarette".

Sie sagen, die neoliberale Kultur ist von Lustvermeidung und Askese geprägt. Aber wir reisen so viel wie nie, wir leisten uns so viel wie nie, wo ist da die Askese?
Ich meine die neoliberale Zerstörung öffentlicher Räume. Immer weniger Menschen können sich an den großen gesellschaftspolitischen Fragen beteiligen, und sei es durch Zuschauen bei gescheiten Fernsehdiskussionen, denn von denen gibt es immer weniger - stattdessen hüpfen Menschen im Pyjama herum und präsentieren ihre Marotten. Und der Staat bietet keinen Ersatz für die verlorene Öffentlichkeit, sondern spielt immer mehr die Rolle einer Verbotsinstanz, die nur repressiv, aber nicht fördernd eingreift. Wie beim Rauchen.

Schon wieder Rauchen.
Tabakkultur ist ja nicht nur die Anhänglichkeit an bestimmte Drogen, sondern auch Teil einer bürgerlichen Öffentlichkeit, die 1848 in Europa blutig erkämpft wurde, dass man nämlich im Kaffeehaus Tabak raucht und freie Gedanken austauschen kann. Wenn es dann einen Staat gibt, der insinuiert: Wenn es dich stört, dass da geraucht wird, dann verbieten wir es natürlich, dann tut der Staat so, als ob er Schwache schützen würde, und zerstört ein Forum von Öffentlichkeit und Kultur.

Lust geht nur in der Öffentlichkeit?
Man glaubt immer, die Menschen wären spontane Hedonisten, die nach jeder Gelegenheit der Lust schnappen. Aber das ist nicht wahr. Die Menschen sind eigentlich sehr gehemmt - Sex, Rauchen, Alkohol, Geselligkeit, Feiern, Müßiggang, freies Denken, das ist alles mit einem bestimmten Unbehagen verknüpft. Und wenn's nicht eine Geselligkeit gibt, die sagt: "Komm, jetzt sei kein Spaßverderber, trink auch ein Glas Sekt, die Kollegin hat Geburtstag", dann stehen wir oft ratlos diesen Genüssen gegenüber. Es gibt derzeit eine Erosion jener Geselligkeit, die notwendig wäre, damit Individuen zu ihrer Lust finden können. Die Genussfähigkeit kommt uns, trotz immer größerer Angebote in der Werbung, abhanden.

Genuss kommt aus der Überwindung von Unbehagen?
Die größten Genüsse, die wir haben, sind die Genüsse der Verwandlung, wo wir etwas Zwiespältiges, ein bisschen Ungesundes, zu Teures in etwas Großes verwandeln. Sich selbst zu überschreiten macht es aus. Eine Gesellschaft, die das ermöglicht, ermöglicht Lust. Eine Gesellschaft, die die Individuen in ihrer Wehleidigkeit bestärkt, vermittelt auch den Genuss als etwas Belästigendes.

Aber die zunehmenden Regulative - vom Rauchergesetz bis zur Radhelmpflicht - haben ja auch alle einen Sinn, oder nicht?
Bei vielen Dingen kann man das nicht ganz abstreiten. Allerdings muss man all diese Maßnahmen an der entscheidenden Frage relativieren: Wofür lohnt es sich zu leben? Man kann es auch übertreiben und sagen, am besten bleiben alle gleich zu Hause, weil da können sie nicht überfahren werden, werden nicht von Rauch belästigt, und so fort. Also um des Lebens willen muss man auch Gefahren in Kauf nehmen dürfen.

Ist die Verhältnismäßigkeit abhanden gekommen?
Ja, winzige Dinge werden für uns plötzlich riesengroß. Helme aufsetzen, Blutfette messen, nur mehr Salat essen - der Philosoph Epikur hat geschrieben, mit der Mäßigung muss man sehr maßvoll umgehen, sonst wird die Mäßigung selber zum Exzess. Genau in dieser Situation leben wir heute.

Wieso lässt sich eine Gesellschaft, die sich selbst als liberal und offen definiert, so gängeln?
Das ist eine ganz entscheidende Frage. Ich kann mir vorstellen, dass künftige Generationen, in etwa 50 Jahren, lachend die Köpfe schütteln und fragen, "wieso haben die sich das gefallen lassen, wieso haben die solche Angst vor dem Leben gehabt"?

Wenn alle nur sie selbst sein wollen, ist das Unterwerfen unter so viele Regulative ja ein Widerspruch.
Da haben Sie recht. Allerdings treten die Verbote ja nicht als Verbote auf, sondern die Regierungen verkaufen alle repressiven Maßnahmen ja immer als Schutzmaßnahmen, oft im Namen fiktiver Schwacher. Aber statt dort zu schützen, wo es notwendig ist, im Bereich der sozial Schwachen, der Prekariatsarbeit etcetera, wird der Schutz umgeleitet auf etwas, wo man den Leuten noch was wegnimmt, statt ihnen etwas zu geben.

Im Erdulden des Regulativs hat man das Gefühl, etwas Gutes zu tun?
Richtig, und man hat noch dazu das Gefühl, beschützt und befreit zu werden.

Aber Gutes zu tun ist ja hochanständig.
Politisches Engagement unterscheidet sich von pseudopolitischem Engagement dadurch, dass es von eigenen Bedürfnissen aus artikuliert wird und nicht von etwas, mit dem man versucht, Selbstachtung zu gewinnen - à la "ich esse kein Schnitzel, damit der Hunger in der Welt gelindert wird". Aber Menschen sind, was das scheinbar Gute betrifft, unglaublich verführbar. Anstatt zu sagen: "Ihr sorgt euch um unsere Lungen? - Sorgt euch lieber um unsere Sozialversicherung!"

Sagen Sie, rauchen Sie eigentlich so viel?
Ich sollte gar nicht, wegen eines Nebenhöhlenproblems, und bin Gelegenheitsraucher zu sehr feierlichen Anlässen. Aber seine Positionen sollte man sich nicht von seinen Wehwechen diktieren lassen.

Wofür lohnt es sich eigentlich zu leben?
Das ist leicht, da fallen jedem wahrscheinlich viele Beispiele ein: Ball spielen an einem Sommerabend, mit Freunden eine Grillparty feiern, mit einer Katze spielen, mit Kindern nachlaufen spielen, in einem Moment der Zärtlichkeit in ein Tal schauen, eine Zigarette rauchen, an einem Regentag unter einem schützenden Vordach sitzend - viele überraschend kleine Dinge können uns gewaltige Freude machen.

Aber das versagen wir uns doch nicht?
Ich habe das Gefühl, dass genau diese Dinge auf der Liste unserer Verbote stehen, weil ihnen allen auch ein Element von Zeitverschwendung, von Müßiggang, von Nutzlosigkeit, von Kraftvergeudung, von sexueller Ansteckungsgefahr, von ungesunden Giften inne wohnt. Aber genau dieses Zwiespältige zu überschreiten, als einzigartige Momente zu erleben, wäre so wichtig.

Was ist denn Lust eigentlich?
Einerseits alles, was mit unserer Tiernatur zusammen hängt: Wir wollen, dass es windstill ist und dass es angenehm warm ist und dass wir Nahrung haben, dann sind wir zufrieden. Und dann gibt es die kulturelle Lust, die immer um etwas gebaut ist, das uns eigentlich nicht zuträglich ist - und da sind wir zu den wirklichen Triumphen fähig.

Beispiel?
Das geht vom Glas Bier bis zur Selbstüberwindung beim Marathon, der für andere eine Qual wäre.

Die Grenzen der Lust steckt die Moral?
Na ja, Moral ist ja nicht nur eine verbietende, sondern auch eine gebietende Instanz. Die Moral verbietet ja nicht nur den Seitensprung,
sondern gebietet die ehelichen Pflichten. Gleichzeitig sind die strengen Verbote manchmal Gebote, genau das Verbotene zu tun - etwa das Verbot des Tötens in der Religion, das das Töten der Ungläubigen im Namen der Religion gebietet.

Der Lust grenzenlos zu folgen würde ins Chaos führen?
Da braucht man keine Angst haben, das tun die Menschen schon nicht. Da ist die Angst zu groß. Die einzigen, die der Lust scheinbar grenzenlos zu folgen vermögen, sind Süchtige, die sich aber damit auch gleich wieder selbst bestrafen. Weil sie sich selbst die Lust nicht gönnen, benützen sie zum Beispiel den Alkohol nicht nur, um sich zu belohnen, sondern auch, um sich selbst zu schädigen und ihr schlechtes Gewissen zu betäuben. Wer sich selbst hingegen die Lust vergönnt, kann auch früher wieder zu trinken aufhören.

Strauss-Kahn und Schwarzenegger bestraften sich mit ihrer zügellosen Lust selbst?
Naja. Zunächst ist es vielleicht bezeichnend für unsere Kultur, dass uns beim Nachdenken über die Lust mit solcher Selbstverständlichkeit immer gleich jene Beispiele einfallen, die geeignet scheinen, die Lust in ein schlechtes Licht zu rücken. Was den strafrechtlichen Aspekt am Fall Strauss-Kahn betrifft, wissen wir alle zu wenig. Wir sollten darum nicht der medialen Verlockung folgen, dazu sofort eine feste Meinung zu haben und zu äußern. Der Fall hat aber auch noch einen politischen Aspekt. Denn ohne dass eine Schuld Strauss-Kahns erwiesen wäre, wurde er bereits politisch vollkommen ruiniert. Das muss allen zu denken geben - sogar denen, die von seiner Schuld überzeugt sind. Denn dieser Mechanismus kann auch andere Leute treffen. Dank der Sexualfeindlichkeit der westlichen Welt, die nahezu in jedem Sexualakt schon eine Vergewaltigung und in allen übrigen ebenfalls etwas Verachtenswertes erblickt, ist hier eine perfekte Möglichkeit entstanden, Leute auszuschalten.

Und die steirische Eiche?
Was Schwarzenegger betrifft, scheint mir, dass dergleichen wohl in den meisten der besten Familien geschieht - nur dass man es früher geschickter verborgen gehalten hätte. Beide Fälle sagen wenig über die betroffenen Personen aus und viel über die Gegenwartskultur: Der Fall Strauss-Kahn verweist, wie Cathérine Millet richtig betont hat, auf einen Mangel an Besonnenheit im Umgang mit solchen Dingen, der von Schwarzenegger auf einen Mangel an Stil in der Öffentlichkeit.

Apropos Gegenwartskultur: Wir schauen Kochshows, die wir nie nachkochen, und Sitcoms, in denen für uns fremdgelacht wird - delegieren wir zunehmend das Genießen?
Die Lust, nach der wir uns sehnen, malen wir uns nur noch als Extrem aus. Wir haben Sehnsucht nach Sex, und dann schauen wir Talkshows, wo Menschen sich als nekrophil outen oder SM mit der eigenen Mutter machen - das finden wir sehr aufregend, aber wir putzen uns an denen ab, die diese Geständnisse machen, und sind froh, dass das nicht wir sind.

Na zum Glück.
Ja, und wir schauen fasziniert Jamie Oliver mit seinen rotzigen Kochbewegungen zu, aber kochen selbst nicht. Die Sehnsüchte, die wir haben, befriedigen wir, indem wir sie an grellen Vorbildern ableben. In den siebziger Jahren war das anders: Da hat man Erotik nicht über nekrophile Außenseiter abgehandelt, sondern man sah relativ gewagte Filme mit Michel Piccoli und Romy Schneider oder Steve McQueen und Faye Dunaway, die zwar auch Extremmodelle verkörpert haben, aber doch nachvollziehbar waren, so dass man in einem bestimmten Moment sagen konnte: "Ach, jetzt hatten wir einen tollen Moment, es war fast so wie bei Piccoli und Schneider". Heute wollen wir uns grausen, damals wollten wir Lust erleben.

Also sind wir alle jetzt eher unlustig?
Die Lust ist immer da, nur nicht immer in der lustvollen Form, sagten Freud und Epikur. Und wenn wir nicht wissen, dass sie da ist, erfahren wir sie als Unlust.

Und beziehen unsere Lust aus unserer Ernsthaftigkeit.
Ja, aus der Lustaskese. Wir benehmen uns wie altkluge Kinder, die sich wundern, wenn die Eltern einmal scherzen oder enthemmt sind.

Na sehr lustig. Vielen Dank für das Gespräch.


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