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Robert Pfaller: »Plötzlich sollen Frauen wieder hilflose, unschuldige Hascherln sein.«     

Presse 2017-11-12 

Der Befund, zu dem der Philosoph Robert Pfaller in seinem neuen Buch »Erwachsenensprache« kommt, ist ernüchternd.
In der sogenannten Postmoderne sind emanzipatorische Politiken in sogenannte Identitätspolitiken umgewandelt worden. ... Sie schauen jetzt bevorzugt auf ihre Herkunft und auf ihre Benachteiligungen und müssen versuchen, daraus Kapital zu schlagen.
Anstatt sich erwachsen zu geben und auf zunehmende Gleichheit hinzuarbeiten,
geben sich viele nun lieber klein, schwach und verletzbar und fordern dafür Sonderbelohnungen.

Judith Hecht 


„Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur“ heißt Ihr neues Buch.
Wir haben es einem Erlebnis während eines Fluges in die USA zu verdanken?
Robert Pfaller: Ja. Auf diesem Flug bin ich beim Versuch, mir Michael Hanekes Film „Amour“ in der Bordvideothek anzusehen, tatsächlich vor „Erwachsenensprache“ gewarnt worden.
Das hat Sie irritiert?
Dieses Erlebnis erscheint mir exemplarisch für eine bestimmte Entwicklung in westlichen Gesellschaften – nämlich dass zunehmend angenommen wird, man könne selbst erwachsenen Menschen nicht selbstverständlich zumuten, mit Sprache oder auch Dingen und Praktiken umzugehen, die für erwachsene Menschen bestimmt sind.
Was verstehen Sie eigentlich unter Erwachsenensprache?

„Erwachsenensprache“ wäre aus meiner Sicht ein Name für diese Selbstverständlichkeit. Erwachsenheit ist auf der individuellen Ebene das, was auf der politischen Ebene die Mündigkeit politischer Bürgerinnen und Bürger ist: die Fähigkeit, Fremdes zu dulden, Dissens zu ertragen, ihm mit Argumenten zu begegnen und den öffentlichen Raum nicht den eigenen privaten Bedürfnissen und Befindlichkeiten unterwerfen zu wollen.

Woran merken Sie, dass wir nicht mehr wie Erwachsene sprechen?

Zum Beispiel sagen an den US-amerikanischen und britischen Universitäten Studierende heute immer öfter statt „I disagree“ einfach nur „I am offended“. Es ist nämlich viel bequemer und wirkungsvoller, eigene Verletztheit zu behaupten, als sich um ein Gegenargument zu bemühen. Und es werden, dank der Privatisierung und Ökonomisierung der Universitäten – aber auch vieler anderer Institutionen –, immer mehr Gremien und Anlaufstellen geschaffen, die solche Haltungen fördern – auch weil sie selbst davon leben.

An welche Stellen und Gremien denken Sie?

Das sind medizinische oder psychologische Beratungsstellen, die den üblichen Stress von Studierenden zu einer neuen, klinischen Qualität erheben; oder Stellen, die alles zu ahnden versuchen, was die immer empfindlicher gemachten Studierenden irritieren könnte. Die Universität muss, diesen Akteuren zufolge, ein sogenannter „safe space“ sein, worin ihnen niemals irgendetwas Schwieriges oder Ungewohntes begegnen darf. Das Problem dabei ist, dass diese Stellen strukturell ein Interesse daran haben, Fälle zu generieren.

Sie meinen, weil sie damit ihre Notwendigkeit bzw. Existenz rechtfertigen?

Ja, die Medientheoretikerin Laura Kipnis hat das in ihrem Buch „Unwanted Advances“ sehr gut gezeigt: Solche Stellen ermuntern Studierende, auch bloß mittelmäßig verlaufene Liebesgeschichten als Tatbestand sexueller Belästigung zur Anzeige zu bringen. Diese Verfahren folgen keinen rechtsstaatlichen Kriterien, aber mitunter werden dabei – auch wenn keine Verfehlung nachgewiesen werden – ganze Existenzen zerstört. Kipnis kritisiert, dass damit vor allem junge Frauen grundsätzlich als Wesen ohne eigene Sexualität und ohne jegliche Handlungsmacht dargestellt werden. Genau gegen dieses viktorianische Klischee hatten sich die Feministinnen der 1970er-Jahre gewehrt.

Und heute?

Plötzlich sollen Frauen wieder ganz hilflose, unschuldige Hascherln sein. Das haben sie in den USA jetzt sozusagen amtlich. Und die wirklichen Probleme, die es in sexueller Hinsicht an den Universitäten gibt, bleiben, bei diesen Hexenjagden gegen Professorinnen wie Professoren, Studentinnen wie Studenten völlig unberührt. Aber nicht nur an Universitäten, sondern auch im öffentlichen Raum werden sogenannte „Mikroaggressionen“ immer mehr zum Thema gemacht.

Was sind Mikroaggressionen? Ein unfreundlicher Blick?

Zum Beispiel. Gemeint sind kleine, unterschwellige Angriffe oder Beleidigungen. Natürlich gibt es so etwas. Aber darum braucht man doch nicht so zu tun, als ob erwachsene Menschen von so etwas aus der Bahn geworfen werden könnten und keine Möglichkeiten hätten, sich zu wehren.

Wir machen uns also klein und verletzbar?

In der sogenannten Postmoderne sind emanzipatorische Politiken in sogenannte Identitätspolitiken umgewandelt worden. Da man nicht mehr in der Lage ist, den Menschen eine Zukunft vor Augen zu stellen, in der die Dinge besser würden, so dass es bessere Chancen für alle gäbe – ungeachtet ihrer sexuellen, ethnischen, religiösen Unterschiede –, hat man den Blick der Leute nach hinten gewendet. Sie schauen jetzt bevorzugt auf ihre Herkunft und auf ihre Benachteiligungen und müssen versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Anstatt sich erwachsen zu geben und auf zunehmende Gleichheit hinzuarbeiten, geben sich viele nun lieber klein, schwach und verletzbar und fordern dafür Sonderbelohnungen.

Sie meinen, heute ermuntert Pseudopolitik die Menschen zur Empfindlichkeit und infantilisiert sie damit?

Ich glaube, man kann sich an die Faustregel halten: Alles, was Menschen an ihre Stärken erinnert und sie dazu ermutigt, in universalisierbarer Weise zu denken und sich wie Erwachsene zu verhalten, ist emanzipatorisch. Alles, was sie an ihre Schwächen und Besonderheiten erinnert, um sie darin verharren zu lassen, ist pseudoemanzipatorisch und pseudopolitisch. Es ist ein schwerer Fehler der politischen Linken– oder derjenigen, die sich dafür halten –, sich diese infantilen Pseudopolitiken zu eigen gemacht zu haben.

Warum?

Wenn man von Dingen wie „Mikroaggressionen“ spricht, trifft man eben die Mehrheit der Leute nicht mehr, die weitaus größere und weniger elitäre Sorgen und Probleme haben - zum Beispiel in Gestalt von Makroaggressionen. Und wenn in Europa die Sozialdemokratie nur noch steht für Binnen-Is, Rauchverbote und Ratschläge für den Umgang mit Zwischengeschlechtlichkeit, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass Eltern, die nicht wissen, wie sie ihren Kindern den Schulausflug bezahlen sollen, anders wählen. Wenn die fortschrittlichen Kräfte westlicher Gesellschaften das Ideal erwachsener politischer Bürgerlichkeit nicht für sich in Anspruch nehmen und es durch den Einsatz für zunehmende Gleichheit verteidigen, dann wird die extreme populistische Rechte den entsprechenden Gewinn in Besitz nehmen.

Sie kritisieren die Linken, machen aber letztlich den Neoliberalismus für die Unmündigkeit der Bürger verantwortlich.

Was wir heute Neoliberalismus nennen – die dogmatische Austeritätspolitik, die Zerstörung demokratisch legitimierter politischer Selbstbestimmung, der Sozialabbau und die dadurch seit den 1970er-Jahren dramatisch gewachsene gesellschaftliche Ungleichheit –, hat als sein kulturelles und ideologisches Programm die Postmoderne hervorgebracht: die Absage an allgemeine Standards von Vernunft und öffentlichem Verhalten politischer Bürger.

Und wie war das in der Moderne?

Die Moderne hat in den Ärmsten der Gesellschaft ihr Allgemeines gesehen und versucht, den Ärmsten zu helfen, um damit allen zu helfen. Die Postmoderne sieht in den Ärmsten nur etwas Besonderes. Sie hilft immer nur den vermeintlich Allerärmsten, um sonst niemandem zu helfen. Sie hat einen obszönen „Wettbewerb der Opfer“ entfacht. Die Moderne wollte, dass niemand arm ist. Die neoliberale Postmoderne will nur, dass die vermeintlich Ärmsten oder deren lautstarke Vertreter es gut haben.

Das klingt so, als vermuteten Sie dahinter eine ausgeklügelte Strategie Neoliberaler?

Es gibt auch Dinge, die Methode haben, ohne dass irgendjemand von Anfang an diese Methode zur Gänze bewusst geplant haben muss. Man kann sagen: Je massiver die gesellschaftliche Ungleichheit in den letzten vier Jahrzehnten in westlichen Gesellschaften gewachsen ist, desto mehr hat sich die Politik, die dies zu bekämpfen gehabt hätte, bevorzugt immer kleineren Problemen zugewandt. Statt von Klassen sprach man zunächst lieber von den Frauen; aber auch das war noch ein viel zu großes Problem. Da kam man lieber auf die Homo-, und Transsexuellen, so als ob deren Probleme selbst schon die Lösung aller zuvor genannten wären, und redet nun gern von „Diversity“. Man tut so, als ob die politischen Probleme in der schönen, neoliberalen Welt lediglich auf Vorurteilen und antiquierten Einstellungen beruhten und allein durch Maßnahmen der „Antidiskriminierung“ gelöst werden könnten.?


Herr Pfaller, darf man Sie auch fragen . . .

1 . . . ob Sie sich als Hedonist bezeichnen würden?
Heute fühlen viele sich schon geradezu verpflichtet, Hedonisten zu sein. Sie leiden dann oft unter „Glücksstress“. Wenn aber unter einem Hedonisten jemand verstanden wird, der sich ab und zu die Frage stellt, wofür es sich zu leben lohnt, dann kann ich vorsichtig Ja sagen.

2 . . . ob das Landleben für Sie einen Reiz hat?
Ich war nie ein großer Naturliebhaber. Aber was man zum Beispiel vom Anblick der Bäume lernen kann, ist, dass ihnen die Dinge, die einen selber aufregen, völlig egal sind. Das ist es, glaube ich, was Albert Camus mit der Formulierung „die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt“ beschrieben hat.

3 ... ob Sie im Kaffeehaus arbeiten?
Ja. Dort gelingt es mir besonders gut, mich zu konzentrieren. Ich muss hier oft an den Satz von Karl Marx denken, wonach der Mensch sich nur in Gesellschaft wirklich vereinzeln kann.


Steckbrief

1962 wurde Robert Pfaller in Wien geboren. Nach der Matura studierte er Germanistik und Philosophie in Wien und Berlin.

2009 bis 2014 war er Ordinarius für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien.

Heute unterrichtet Pfaller an der Kunstuniversität in Linz.

Der Wiener hat zahlreiche Schriften und Werke publiziert: 2002 erschien sein Buch „Illusion der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur“; 2008 „Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft“; 2011 „Wofür es sich zu leben lohnt – Elemente der materialistischen Philosophie“; 2012 „Zweite Welten und andere Lebenselixiere

Am 23. November erscheint sein neues Buch „Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur“.



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