Heal the world, make it a better place, for you and for me and the entire human race ...
Es scheint Symptom der aktuellen Kultur zu sein:
die als evident vorausgesetzte Annahme, dass es Erwachsenen nicht zumutbar sei, sich als Erwachsene zu verhalten; dass die Belastbarkeit, die Erwachsenen eignet, nicht von jedem Erwachsenen mehr verlangt werden dürfe. (Pfaller, Erwachsenensprache, 15.3)
War die Moderne einer Politik der Gleichheit verpflichtet gewesen, so zeichnete sich die Postmoderne, durch ihre Politiken der Ungleichheiten, der Identitäten und ihrer »Diversität« aus.
[20] Nicht mehr der Anspruch der Menschen auf einen gewissen Teil des gesellschaftlichen Reichtums sollte befriedigt werden, sondern lediglich ihrer spezifischen Empfindlichkeit eine billige, symbolische Anerkennung widerfahren. Da niemand mehr ihren Blick nach vorne, auf eine bessere Zukunft lockte, ermunterte man viele nun, nach hinten zu blicken, auf ihre Herkunft oder ihre sogenannte Identität. Und nach vorne hin schien es keine Perspektiven mehr zu geben – weder materiell, angesichts steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Einkommen, noch ideell, in Gestalt einer gesellschaftlichen Gesamterzählung. Denn wenn es nicht gerade darum ging, Bombardements fremder Staaten als humanitäre Pflicht zu rechtfertigen, waren es nun die westlichen Eliten selbst, die auf gut postmoderne Weise nicht müde wurden, sämtliche universalistischen Ansprüche auf Gleichheit als partikulare Erfindung alter, wenn nicht toter, weißer Männer zu diffamieren. (27.3)
Was die postmoderne Ideologie im Dienst der neoliberalen Umverteilung als »weiß, männlich, heterosexuell« etc. brandmarkte, war in Wahrheit die entscheidende Errungenschaft der bürgerlichen Revolutionen: das Prinzip mündiger Bürgerlichkeit (citoyenneté).
Die Fähigkeit, von sich selbst abzusehen, war, wie Sennett feststellt, die entscheidende Voraussetzung zivilisierten Verhaltens: »Unzivilisiert ist es, andere mit dem eigenen Selbst zu belasten.« (Sennett 2001: 336)
Die Diffamierung dieser Dimension öffentlicher Bürgerlichkeit als bloß partikulare »weiße, männliche« Marotte und die Ermunterung an alle benachteiligten oder marginalisierten Gruppen, ihre Marotten in die Öffentlichkeit zu tragen, zerstört den Raum der Gleichheit. Denn Gleichheit setzt Erwachsenheit voraus: die Fähigkeit, vom Privaten und Persönlichen abzusehen und nur das öffentlich Relevante zu behandeln. Dagegen ist die Unterwerfung des öffentlichen Raumes unter die Kriterien persönlicher Empfindlichkeit – die Fähigkeit, sich verletzt zu fühlen, und den Zwang, dies sofort kundzutun – die stärkste Ressource zum Abbau von bürgerlicher Teilhabe und Politikfähigkeit.
Die neoliberale, postmoderne Gesellschaft fördert nicht die Ärmeren und Ärmsten, damit diese möglichst so gut wie alle übrigen leben können. Sie fördert vielmehr immer nur Ausnahmen, um alle übrigen getrost verkommen zu lassen. Nur so ist es überhaupt möglich, dass seit den 1990er Jahren in den westlichen Gesellschaften ein »Opferwettbewerb« entbrannt ist.[27]Weil man als Zweitärmster schon um alle Sozialleistungen kommen könnte, muss man ständig versuchen, der Allerärmste zu sein.(37.7)
Die Schaffung einer ganzen Kaste von Beauftragten, die im Namen von Benachteiligten sprechen und agieren und an deren Stelle Vergünstigungen beziehen, ist eine effiziente Maßnahme zur Stabilisierung bestehender Benachteiligung und zur Sicherung wachsender Ungleichheit.
»Je mehr Ressourcen die Universitäten paradoxerweise in die Institutionalisierung von therapeutischen Tätigkeiten investiert haben, desto stärker haben sie Studierende angeregt, Symptome seelischen Leidens zu melden.« (Furedi 2016: 47) (42.9)
EU: Während man also nichts unternimmt, um das inzwischen längst demokratiegefährdende Anwachsen von ökonomischer Ungleichheit aufzuhalten[48] und rückgängig zu machen, richtet man sein Augenmerk auf sechs bis acht andere Ungleichheiten.
Political correctness ist ein Sprachspiel unter Privilegierten, das sich in der Regel in Abwesenheit derer vollzieht, um die es dabei angeblich geht. So, wie es Antisemitismus ohne Juden und Rassismus ohne Rassen gibt,[57] gibt es auch Antidiskriminierungsdiskurse ohne Diskriminierte. Meist ergeht der Vorwurf mangelnder politischer Korrektheit von einem nichtdiskriminierten Angehörigen aus den Mittelschichten an einen anderen.[58] Die Figur der diskriminierten oder benachteiligten Person spielt dabei lediglich die Rolle einer Geisel, durch deren Kaperung sich der eine halbwegs Privilegierte gegenüber dem anderen einen Vorteil verschafft. (62.3)
Politisch korrekter Sprachgebrauch ist – ebenso wie Charity, ethical Fashion, ökologisches Einkaufen und veganes Kochen – vor allem und zu allererst ein Distinktionskapital; eine Waffe, mit deren Hilfe man mehr oder weniger Gleichgestellte wirksam zu Ungleichen machen kann.
Sozialdemokratien: Damit mussten sie Abstand nehmen von einer Politik, die auf die Ausgleichung von Klassenunterschieden zielte, und ihre Agenden verlagern. So machte man zunächst erst einmal lieber Frauenpolitik statt Klassenpolitik, und dann lieber Politik für Homosexuelle oder Queers als Frauenpolitik, und dann überhaupt am liebsten »diversity«. Anstatt die Probleme einer Klasse oder Gruppe zu lösen, rückte man lieber die Probleme der nächsten Gruppe ins Zentrum der Aufmerksamkeit – so als ob sie nicht selbst Probleme, sondern vielmehr die Lösung der anderen Probleme wären: Wozu sich mit den Problemen der vielen Hetero- oder Homosexuellen plagen, wenn es doch auch Queers und sogar Asexuelle gibt? Und wozu auch über neue Armut reden oder gar etwas dagegen tun, wenn man mit schwullesbischen Ampelmännchen (freilich nur in den touristischen Innenbezirken) Aufgeschlossenheit demonstrieren und sogar internationalen Applaus einfahren kann?
Die Fehleinschätzung beziehungsweise Fehldeklaration von postmoderner Pseudopolitik als linke Politik ist es, die gegenwärtig massenhaft ehemalige sozialdemokratische Stammwählerschichten ins Lager der neuen Rechten (oder auch in das immer größer werdende der Nichtwähler) überlaufen lässt.
[61] Wenn sozialdemokratische Politik in der öffentlichen Wahrnehmung für nichts anderes mehr steht als für Binnen-Is, Rauchverbote und Ratschläge für den Umgang mit Zwischengeschlechtlichkeit, dann braucht man sich allerdings nicht zu wundern, wenn Leute, die ernsthafte Sorgen haben und zum Beispiel nicht wissen, wie sie den Schulausflug ihrer Kinder bezahlen sollen, zornig werden und anders wählen.
[62] Genau darum sollte man endlich aufhören, den Umstand, dass man von der Rechten angegriffen wird, als Beweis dafür auszugeben, dass man selbst linke Politik mache.
[63] Dass Menschen mit Existenzsorgen über aufgezwungenes »Gendern« ärgerlich werden, ist kein Beleg dafür, dass Gendern fortschrittlich ist oder die Ärgerlichen Faschisten wären.
Political correctness ist keine Errungenschaft linker Hegemonie.
gar etwas dagegen tun, wenn man mit schwullesbischen Ampelmännchen (freilich nur in den touristischen Innenbezirken) Aufgeschlossenheit demonstrieren und sogar internationalen Applaus einfahren kann?[60]
Diese Fehleinschätzung beziehungsweise Fehldeklaration von postmoderner Pseudopolitik als linke Politik ist es, die gegenwärtig massenhaft ehemalige sozialdemokratische Stammwählerschichten ins Lager der neuen Rechten (oder auch in das immer größer werdende der Nichtwähler) überlaufen lässt.[61] Wenn sozialdemokratische Politik in der öffentlichen Wahrnehmung für nichts anderes mehr steht als für Binnen-Is, Rauchverbote und Ratschläge für den Umgang mit Zwischengeschlechtlichkeit, dann braucht man sich allerdings nicht zu wundern, wenn Leute, die ernsthafte Sorgen haben und zum Beispiel nicht wissen, wie sie den Schulausflug ihrer Kinder bezahlen sollen, zornig werden und anders wählen.[62] Genau darum sollte man endlich aufhören, den Umstand, dass man von der Rechten angegriffen wird, als Beweis dafür auszugeben, dass man selbst linke Politik mache.[63] Dass Menschen mit Existenzsorgen über aufgezwungenes »Gendern« ärgerlich werden, ist kein Beleg dafür, dass Gendern fortschrittlich ist oder die Ärgerlichen Faschisten wären. Political correctness ist keine Errungenschaft linker Hegemonie.[64]
Die neue Rechte erstarkt schließlich nicht etwa deshalb, weil die Sozialdemokraten linke Politik machten, sondern eben darum, weil sie seit langem keine mehr machen.
Wenn es nicht gelingt, die pseudolinke Symbolpolitik endlich von links zu kritisieren und sie zugunsten einer wirklichen linken, auf Gleichheit und Wohlstand aller ausgerichteten emanzipatorischen Politik zu verabschieden, dann wird es in Zukunft nichts mehr geben, was den in vielen Ländern bereits spürbar gewordenen Siegeszug der Rechten aufhalten kann.
postmodernen Pseudopolitiken müssen endlich von links kritisiert werden, damit diese notwendige Aufgabe nicht länger zur Beute der Rechten werden kann. Denn die postmoderne, neoliberale Sozialdemokratie ist selbst ein gutes Beispiel für den zuvor erwähnten Typus von Wesen, die von ihren Fehlern leben. Dass sie von der Rechten, deren Erstarken sie ermöglicht hat, angegriffen wird, wertet sie als Beleg dafür, auf dem richtigen Weg zu sein. Und es gibt ihr sogar die Chance, sich als einzige Alternative zu präsentieren: Wer immer ihre Pseudopolitik wirklich von links kritisiert, wird sofort von ihren Mitläufern als Rechter oder als »Verschwörungstheoretiker«, wenn nicht überhaupt gleich als Sexist oder Rassist beschimpft – ein Diskursmuster, das Politiker wie Bernie Sanders, Oskar Lafontaine, Sahra Holocaust, Gewalt oder Sexualität könnte Studierende angeblich traumatisieren – darum fordern Studierendenverbände sogenannte
trigger warnings: Man soll den Studierenden im Vorhinein bekanntgeben, ob und inwiefern das zu behandelnde Material mögliche Auslöser (triggers) für Traumatisierungen beinhaltet.
[77] (Hier wird verständlich, weshalb solche Empfindlichkeiten zum Beispiel kaum jemals in medizinischen Fakultäten in Erscheinung treten: Wenn man kein Blut sehen mag, kann man so eine Wissenschaft eben nicht studieren. /79.7)
Anstatt die Universität als den offensten Raum der Gesellschaft zu konzipieren, in dem alles einer kritischen Prüfung unterzogen werden kann und nichts als das bessere Argument, ohne Ansehen der Person, zu zählen hat, definiert man die Universität hier als einen extrem geschlossenen Raum, in dem nichts mehr zählt als die größte Empfindlichkeit und das Ansehen der Person. Alle sollen einbezogen, »inkludiert« sein, und niemandem soll in seiner Besonderheit auch nur die allerkleinste Widrigkeit oder Herausforderung begegnen.
Es ist kein Zufall, dass die vermeintlich humanitären Forderungen nach Inklusion in den gesellschaftlichen Teilbereichen der Gleichheit genau zu dem Zeitpunkt auftauchen, in dem das Prinzip der Gleichheit in westlichen Gesellschaften insgesamt massiv bedroht ist durch wachsende ökonomische Ungleichheit sowie durch zunehmende Ohnmacht der demokratisch legitimierten Politik gegenüber der Macht und Willkür internationaler Konzerne.
[85] Die Zerstörung der Gleichheit an den Universitäten durch Inklusion dient der diskussionslosen Durchsetzung von Ungleichheit in der Gesellschaft: Die Universitäten sollen auf keinen Fall mehr wie früher als kritische Gegenöffentlichkeiten der gesellschaftlichen Prozesse fungieren können.
Eine fortgesetzte Infantilisierung der Studierenden dagegen – wie sie zum Beispiel auch von den Maßnahmen der Verschulung etwa durch die europäische Bologna-Reform vorangetrieben wurde – wäre nicht nur zum Schaden der Studierenden, sondern bedeutete letztlich auch das Ende des intellektuellen Lebens an den Universitäten. Wie Frank Furedi treffend feststellt, brauchen Studierende (ebenso wie die Gesellschaft) Universitäten, die sie für ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit vorbereiten, und keine »safe spaces«, die sie in infantilisierte, schutzsuchende Bittsteller verwandeln.(89.6)
Wie Laura Kipnis anmerkt, ist hier eine Position einer bestimmten Spielart von sexualfeindlichem Radikalfeminismus, wie er von Autorinnen wie Andrea Dworkin und Catharine McKinnon vertreten worden war, zum Mainstream geworden. Nach dieser Auffassung gibt es unter patriarchalen Bedingungen so etwas wie einvernehmlichen heterosexuellen Geschlechtsverkehr unter Zustimmung der beteiligten Frauen grundsätzlich nicht – jegliche Anbahnung heterosexueller erotischer Beziehungen wäre darum Belästigung und also Vergewaltigung.Diese vermeintlich »radikale« Position stellt freilich zugleich eine extreme Verharmlosung wirklicher Vergewaltigungsverbrechen dar. Wenn der Empfindung von Verletzung oder Beleidigung Priorität eingeräumt wird über jegliche objektive Klärung des Sachverhaltes, dann geht der gesamte Raum einer Gesellschaft verloren, innerhalb dessen Menschen für schuldig erklärt werden können, ohne damit zugleich in ihrer symbolischen Existenz ausgelöscht zu werden.
ist eben keine Agentin einer »produktiven dissensstiftenden Diskursvermehrung«.
Vielmehr ist sie die dogmatische Beendigung jeglichen Diskurses im Vorhinein. Und sie scheint keinen Dissens zu kennen, der nicht böse wäre. Denn, wie Frank Furedi feststellt: Die altmodische Redewendung »I disagree« ist ja strategisch um vieles schwächer als die an ihre Stelle getretene postmoderne Kriegserklärung »I am offended«.
Während erstere ja nur eine bestreitbare Ansicht ausdrückt, ist letztere doch Ausdruck einer wohl unbestreitbaren medizinischen Realität.(93.0)
»Zugegeben, ich habe eine Kunstschule besucht, und meine Generation gehörte zu der glücklichen […], wo Sex unter die Kategorie ›Lebenserfahrung‹ fiel, auch wenn er nicht besonders großartig war oder Gefühle verletzt hat. Es ist nicht so, dass ich nicht meinen Anteil an Fehlern gemacht habe oder mich blöd oder wie ein Anfänger verhalten habe, aber das war peinlich, nicht traumatisch.« (Kipnis 2015: 2)