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  down  Brennpunktschulen: „Wir ziehen eine Generation von Analphabeten heran“

Julia Neuhauser - Presse   2018-06-17    ../00CONTENT/Bildung/Schulwesen/Artikel/2018/2018-06-17_Analphabeten_312

Eigentlich trauten sie sich nicht zu reden, dann erzählen sie doch: Zwei Volksschuldirektorinnen schildern, was sich hinter den Fassaden von Brennpunktschulen in Wien abspielt. Eine Geschichte von Kindern, die das Wort Wolken nicht kennen, Eltern, die keine 50 Cent für ein Buch ausgeben wollen, und Lehrern, die sich mehr Unterstützung sowie die Rückkehr des Sitzenbleibens wünschen.


Die Schulglocke läutet und am Gang wird es schlagartig lauter. Die Regeln der Grammatik sind nun hörbar außer Kraft gesetzt: „Gemma Hof“, ruft da ein Volksschüler. „Ich gehe zu Hause“, sagt dort ein anderer und zwischendurch hört man noch „Was für?“.

Seit Monaten diskutiert die Republik über Versäumnisse in den Schulen. Es geht um das Erlernen der deutschen Sprache, um (missglückte) Integration, um soziale Probleme, manchmal auch um Gewalt. Um Deutschklassen. Um die Einführung einer Deutschpflicht am Pausenhof. Allerlei Meinungen, Erklärungen und Forderungen geistern durch das Land. Das Thema bewegt. Es polarisiert. Doch was sagen eigentlich jene, die in solchen Klassen unterrichten? Ein Besuch in zwei Wiener Brennpunktschulen.

„Ich bin seit fast 20 Jahren in dieser Position und mich hat noch nie jemand nach meiner Meinung gefragt,“ sagt die Direktorin, an deren Volksschule Sätze wie „Gemma Hof“ alltäglich sind. Sie hat viel zu erzählen. Aber auch ein mulmiges Gefühl. Und deshalb eine Bedingung: Weder ihr Name noch die Adresse ihres Arbeitsplatzes sollen in der Zeitung stehen. Ihre Volksschule soll nicht endgültig abgestempelt werden. Sie hat schon genug Probleme. Die Direktorin wirft einen Blick auf die Schulstatistik. „Wissen Sie, es wird ständig hysterisch vor „Ghettoklassen“ gewarnt, dabei habe ich hier schon jetzt ausschließlich solche.“ Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund liegt bei fast 100 Prozent. Ihre Schützlinge stammen etwa aus der Türkei, aus Serbien, Bosnien, Tschetschenien, Afghanistan und anderen Ländern. Mehr als 40 Sprachen hallen in den Pausen durch die Schule. Soziale Durchmischung gibt es kaum. Die wenigen Bildungsbürger, die in der Gegend wohnen, würden meist einen Bogen um die Schule machen. Sie weichen in Privatschulen oder zumindest in Schulen mit einem besseren Ruf aus. „Zu uns kommen diese Kinder höchstens, wenn sie aus anderen Schulen geworfen werden.“ Das klinge hart, sei aber Realität.

Österreichweit ist der Anteil an Schülern mit nicht-deutscher Muttersprache in den vergangenen zehn Jahren von 15,6 auf 25,3 Prozent gestiegen. Die Verteilung ist höchst unterschiedlich – selbst innerhalb Wiens. 29,2 Prozent der Kinder in Hietzing sprechen zu Hause nicht Deutsch. In Margareten liegt der Schnitt bei 88,5 Prozent.

Schon bei der Schuleinschreibung könne man, sagt die Direktorin, die Kleinen in drei Gruppen einteilen. Ein Drittel der Sechsjährigen könne ein bisschen Deutsch. Ein Drittel sei noch nicht lange in Österreich. Diese Kinder können sich zwar noch kaum verständigen, machen aber rasch Fortschritte. Das letzte Drittel bereite ihr Sorgen. Es sind die Schulanfänger, die hier geboren sind, aber nur einzelne deutsche Wörter kennen. Nicht selten kommen sie aus schwierigen Verhältnissen.

Wie sieht unter diesen Umständen der Unterricht aus? Ein Lehrer stößt zum Gespräch hinzu und schildert ein Beispiel: Er habe seinen Schülern den Satz „Wolken schweben am Himmel“ aus der Spatzenpost vorgelesen. Sie hätten ihn dabei verdutzt angesehen. Den Sinn des Satzes, so erzählt es der Pädagoge jedenfalls, würde kaum ein Zweitklässler verstehen. Die Kinder kennen zwar die Bedeutung des Wortes Himmel. Was Wolken oder schweben heißt, wissen sie aber nicht. Ihnen fehlt der deutsche und oft auch der muttersprachliche Wortschatz. Als Lehrer müsse man Wort für Wort erklären.

Ein paar Straßen weiter, in der Nachbarschule, werden ähnliche Geschichten erzählt. Auch hier nur anonym. Sie habe, sagt die Schulleiterin, „ein wenig Angst“. Um die Schule. Und auch um ihren Job. Ihre Schüler würden in einer eigenen (Sprach-)Welt leben. In der Familie und im Freundeskreis würden sie kein deutsches Wort hören. Auch nicht im Fernsehen. Die Sommerferien würden sie in der alten Heimat der Eltern verbringen. Mit Deutsch würden die Kinder häufig ausschließlich – und manchmal auch zum ersten Mal – in der Schule konfrontiert.

Letzteres hätte mit der Einführung des verpflichtenden letzten Kindergartenjahres Geschichte sein sollen.

Für Verbesserung hat es laut der verpflichtenden Sprachstanderhebung, bei der alle Drei- bis Sechsjährige getestet werden, in fast 40 Prozent der Fälle gesorgt. „Davon merke ich allerdings nicht viel. Ich weiß nicht welche Sprache in den umliegenden Kindergärten, Abendstern und wie sie heißen, wirklich mit den Kindern gesprochen wird“, sagt die Leiterin der Volksschule.

Sitzenbleiben ist fast unmöglich.

Die nicht-deutsche Muttersprache alleine verbaue den Kinder nichts. Erst das Zusammenspiel zwischen Migrationshintergrund und bildungsfernem Elternhaus mache es schwierig. Da ist sich die Pädagogin sicher. „Dort, wo das Elternhaus mitspielt, haben wir kein Problem.“ Sie erzählt von Kindern, darunter ein syrisches Mädchen aus einer Arztfamilie, die innerhalb eines halben Jahres besser Deutsch sprechen würde als Kinder, die hier geboren sind – und deren Eltern hierzulande schon die Schule besucht haben. Wie das möglich ist? „Das verstehen wir alle nicht.“ Sie beobachtet, genauso wie ihre Direktorinkollegin, aber so einiges. An deren Schule gab es einen Bücherflohmarkt. Ein Volksschulkind sei mit drei Büchern in der Hand zu seinen Eltern gegangen und habe um 1,50 Euro gebeten. „Maximal eines“ habe die Antwort gelautet. Das sei bei diesen Beträgen keine Frage des Geldes. Die Familien würden es auch für McDonald’s, teure Handys und große Flatscreens ausgeben. Es gehe vielmehr, findet die Pädagogin, um den Wert, der Bildung beigemessen wird.

Der sei manchmal verschwindend gering. Erst kürzlich hätten die Lehrer aus den Schultaschen reihenweise Semesterzeugnisse gezogen. „Die haben seit Anfang Februar offenbar niemanden interessiert.“ Eltern würden oft weder wissen in welche Klasse das eigene Kind geht noch wie der Lehrer heißt.

In Einzelfällen würden die Eltern den Schulbesuch auch völlig ablehnen. „Meine Töchter brauchen keine Schule“, habe ein syrischer Vater gesagt. Die vier Mädchen selbst lieben das Lernen. Die Jüngste habe erst kürzlich an der Direktion geklopft und mit den Worten „So etwas habe ich zu Hause nicht.“ um ein Blatt Papier zum Üben gebeten. „Oft sind sie auch wirklich herzig.“ Häufig sei es aber auch frustrierend. Manche Kinder würden nichts lernen. Für sie, sagen beide Direktorinnen, wären mehrmalige Klassenwiederholungen das Beste. „Doch das Sitzenbleiben ist mittlerweile nicht mehr erwünscht.“ In einer der beiden Schulen würden heuer sieben Kinder mit einem Nicht genügend aufsteigen. „Die Kinder können nichts und kommen in die nächste Klasse. So ziehen wir eine Generation von Analphabeten heran.“ Und wie viele Schüler verlassen eine Schule wie diese nach der vierten Klasse, ohne gut Deutsch zu können? „Bei mir sind es, ich schätze, 40 bis 50 Prozent“, sagt die Direktorin und wirft dem Lehrer einen Blick zu, um sich zu vergewissern, ob er das ähnlich sieht. Er nickt. Viele Kinder könnten sich zwar verständigen und Fahrscheine kaufen. Längere Texte könnten sie aber weder verstehen noch schreiben.

Die Schilderung deckt sich mit den Studienergebnissen. Demnach erreichen mehr als 60 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund in der vierten Klasse die Lesestandards nicht oder nur teilweise. Bei Kindern ohne Migrationshintergrund sind es 33 Prozent. Mehr Bedeutung hat der Bildungsstand der Eltern: 72 Prozent der Kinder, deren Eltern maximal Pflichtschulabschluss haben, lesen schlecht. Bei Akademikerkindern sind es 20 Prozent.

Für die türkis-blaue Regierung ist „Deutsch vor Schuleintritt“ der Schlüssel. Bereits ab Herbst sollen Schulanfänger, die nicht gut Deutsch sprechen, sowie Quereinsteiger, die während des Schuljahres dazustoßen, für maximal zwei Jahre in eigenen Deutschklassen unterrichtet werden. In Turnen, Musik und Werken sollen sie zu den übrigen Schülern dazustoßen.

An den beiden Brennpunktschulen hält man davon wenig. Das System sei zu kompliziert. Man brüte seit Tagen und Wochen über den Stundenplänen. „Wir würden am liebsten die Politiker, die das beschlossen haben, zu uns einladen.“ Bislang habe man die Kinder stundenweise aus der Klasse geholt. Das habe auch bei den 30 Quereinsteigern, die während des Schuljahres kamen, funktioniert.

Statt Deutschklassen hätten die Direktorinnen lieber generell einen zweiten Lehrer in den vier Volksschuljahren. Außerdem brauche es einen Sozialarbeiter am Standort.

Kritische Schulausflüge.

Der hätte, lassen die Geschichten vermuten, viel zu tun. Jene Direktorin, die eingangs „ein wenig Angst“ hatte zu reden, schickt ihren Anekdoten voraus, „wirklich weltoffen“ zu sein. Sie sagt das mehrmals. Dann erzählt sie von Vorfällen, die sie traurig machen. Dazu zählt der Besuch einer aufgebrachten Mutter. Deren Sohn, eines von zwei österreichischen Kindern, habe seine Klassenkollegen zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen. Gekommen sei kein einziges Kind. „Wir gehen nicht zu einem Schweinefleischfresser“ hätten, so erzählt es die Direktorin, die Kinder gesagt.

Nicht nur wegen Vorfällen wie diesem habe sie viele Gespräche mit muslimischen Eltern geführt. Sie versuche sie ins Boot zu holen und bietet Elternabende in unterschiedlichen Sprachen an. Dabei kommen auch die Schulausflüge zur Sprache. Kürzlich habe eine Klasse einen Ausflug in den Stephansdom gemacht. „Ausgerechnet an dem Tag waren zehn Kinder krank“. Stephansdombesuche gehören auch in der nur wenige Gehminuten entfernten Volksschule dazu. Seit der Islamlehrer mitgeht, würden diese, wie die Direktorin schildert, auch akzeptiert. Mit einer Ausnahme. „Wenn ich groß bin, sprenge ich das in die Luft“ habe einer ihrer Schüler, der die Schule mittlerweile verlassen hat, beim Besuch gesagt.

Ihre Lehrer würden immer wieder vor schwierigen Situationen stehen. So war das auch beim Sprachenfest. Zu diesem sollten die Kinder heimisches Essen mitbringen. Die serbischen Familien entschieden sich für Spanferkel. Das hat im Lehrerzimmer zu einer Diskussion darüber, ob das den muslimischen Familien zumutbar sei, geführt. „Man will ja niemanden brüskieren.“ Ihr persönlich, meint die Schulleiterin, gehe das zu weit. Das Spanferkel durfte mitgebracht werden und wurde auf einen eigenen Tisch gestellt. „Und wissen Sie was?“, sagt die Direktorin, „es hat niemanden gestört“.

»40 bis 50 Prozent unserer Schüler verlassen die Schule, ohne gut Deutsch zu können.«
»Die Kinder können nichts und kommen in die nächste Klasse.«

FAKTEN

Deutschklassen. Die türkis-blaue Bundesregierung hat die Einführung von Deutschklassen beschlossen. Bereits ab Herbst sollen Schulanfänger, die nicht gut Deutsch sprechen, sowie Quereinsteiger, die während des Jahres dazustoßen, für maximal zwei Jahre in solchen Klassen unterrichtet werden.

15 Stunden pro Woche sollen Volksschüler in diesen Klassen Deutsch lernen.
In den Neuen Mittelschulen und der AHS sind es 20 Stunden. In den übrigen Fächern wie Turnen und Musik werden die Migranten gemeinsam mit den anderen Kindern unterrichtet.

Für Kinder, die bereits die Schule besuchen und noch immer mit Deutschproblemen kämpfen, gibt es sechs zusätzliche Deutschstunden. Bisher besuchten diese Kinder Sprachstartgruppen oder Sprachförderkurse im Ausmaß von elf Wochenstunden.
38.360 Pflichtschüler waren mit Beginn des nun bald auslaufenden Schuljahres für derartige Deutschförderungen angemeldet.


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