Donnerstag, 01.05.2025 - 17:30:37 |
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Die Gleichgültigkeit der Bürger zum Thema Überwachung und Datenschutz ist gefährlich, besonders wenn es um Massenüberwachung geht. Mitbürger wacht endlich auf - Kämpft um und für eure Freiheit! |
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Die bewegende Rede von André Heller im Wortlaut |
Kleine Zeitung
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Mein, wahrscheinlich an diesem Tag, das letzte Mal in seinem Leben, optimistischer Vater, ein Süßwarengroßindustrieller und engagierter Austrofaschist, sagte am Abend des 11. März 1938 zu seinem Freund, dem ehemaligen Dollfuß Vizekanzler und Heimwehrführer Emil Fey, beruhigend: "Du, es wird sicher nicht so heiß gegessen werden wie gekocht." Hundert Stunden später, nach einem brutalen Verhör durch die Gestapo, erschießt Fey seine Frau, seinen Sohn und dann sich selbst und am Morgen des 12. März, nach dem völlig ungehinderten, „Anschluss“ genannten, Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die erste Republik, läutete es gegen 9 Uhr an der Tür der Wohnung meiner Eltern, am Wiener Brahmsplatz 1, sturm. Die Haushälterin öffnete und sah sich drei jüngeren Männern in Polizeiuniformen mit Hakenkreuzbinden gegenüber. Die Antwort: "Olles ken ma uns erlauben. Jetzt san nämlich endlich die anständigen Menschen am Zug. Sie kumman stantapede mit." So zumindest erinnert es meine Mutter, die heute, in ihrem 104. Lebensjahr, zuhause die Übertragung dieser Veranstaltung im ORF verfolgt. Als mein Vater zurückkehrte, trug er über dem 3-teiligen Anzug einen Kamelhaarmantel, den er mit allen Orden, die ihm als Offizier im 1. Weltkrieg verliehen wurden, dekoriert hatte. Es muss der Oktober 1970 gewesen sein, als mein Freund und Mentor Helmut Qualtinger anrief und sagte: "Host Lust heute um 20 Uhr im Restaurant Falstaff bei der Volksoper den Carl Zuckmayer kennenzulernen?" Natürlich interessierte es mich dem Autor solcher Theaterereignisse, wie "Den Hauptmann von Köpernick" oder "Des Teufels General" zu begegnen. So nebenbei hatte er auch noch mit Heinrich Mann das Drehbuch zum Filmklassiker "Der blaue Engel" geschrieben. Ich erschien also pünktlich und sah Helmut bereits im aufgeregten Gespräch mit dem Pfeifenrauchenden, wie eine menschgewordene schöne Tiroler Holzschnitzerei wirkenden, Zuckmayer. Ich zitiere wörtlich: "Die Hölle brach los. Die Unterwelt hat ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen. Die Stadt verwandelte sich in ein Albtraumgemälde des Hieronymus Bosch: Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen. Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Missgunst, der Verbitterung, der blinden, böswilligen Rachsucht und alle anderen Stimmen waren zum Schweigen verurteilt. Hier war nichts losgelassen, als die dumpfe Masse. Die blinde Zerstörungswut und ihr Hass richtete sich gegen alles, durch Natur oder Geist veredelte. Es war ein Hexensabbat des Pöbels und ein Begräbnis aller menschlichen Würde." Dieser Wiener Hexensabbat der Verblendeten wurde zum Vorbild für das große Pogrom von November 1938 im gesamten Reichsgebiet. Darauf aufbauend hat Hitler zwei Monate später, Jänner 1939 im deutschen Reichstag, also aller Welt hörbar, für im den Fall eines kommenden Krieges, die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa angekündigt. Meine Damen und Herren, es besteht ein nicht zu leugnender Zusammenhang zwischen dem Jubel damals, hier draußen vor diesen Fenstern am Heldenplatz und all den Ungeheuerlichkeiten die darauffolgten. Was aber ging diesem Irrsinn voraus? Radikaler Verlust an territorialer Größe, radikaler Verlust an Bedeutung auf der politischen Weltbühne, Verlust vieler Industrien, Verlust von Landwirtschaft und Arbeitsplätzen, Verlust von etwas besonders Grenzenlosen, Sehnsuchtsbeladenen und Schönheitsintensiven: dem Meer und den mediterranen Landschaften. Verlust der Rolle des Adels, Verlust eines kollektiven Selbstwertgefühls, des den Energiekörper Österreichisch - Ungarische Monarchie, jahrhundertelang nährenden und inspirierenden einzigartigen Sprachen-, Religionen-, Kulturen- und Völkergemischs. Man wusste im November 1918 nicht, was auf das von der habsburgischen Landkarte übrig gebliebene Deutsch - Österreich zukommen würde: Repräsentative Demokratie. Bolschewismus, revolutionäre Gärungen aller schrecklichen und heilsamen Nuancen, waren eine realistische Option und fast niemand im Land wusste, welchen Sinn dieser Staat Österreich noch haben könnte. Die Regierungen wechselten schnell, einmal war ein Rechtsanwalt Bundeskanzler, dann ein Prälat, dann ein Polizeipräsident, dann ein Landwirtschaftsexperte der mit seiner Bewegung das Parlament abschaffte und eine katholische Diktatur errichtete. Meine angebetete, schöne und weltoffene Südtiroler Großmutter hat mir einmal erzählt: "Weißt du Bub, in der taumelnden Zwischenkriegszeit war mein Haupttrost, dass was ich als unverlierbare Heimat empfand, die Musik vom Mozart und vom Schubert. Und wenn ich die Lotte Lehmann in der Staatsoper singen gehört hab oder den Rilke oder den Hofmannsthal im Gewerbeverein ihre Gedichte vorlesen, war ich wenigstens auf Zeit gerettet und meine Augen und Ohren hatten eine Zuflucht vor dem Groben und Lieblosen. Man fühlte nämlich, dass sich etwas Schreckliches, ein unsäglicher Zusammenbruch anbahnte. Meine Damen und Herren, eine der grausamsten Säulen von mörderischen Diktaturen ist seit jeher, die Schaffung von Sündenböcken, die immer und an allem Schuld zu sein haben und denen man dafür die oft bestialischsten Bußen auferlegt. Sie sind der blutbefleckte Paravent hinter dem sich der äußerste Zynismus, die Morallosigkeit und das Kriminelle austobt. Aus der Staatsverbrecherbande der Nazis ragten überproportional viele Österreicher, ich nenne stellvertretend nur Hitler, Kaltenbrunner, Eichmann, Seyß-lnquart und einige besonders vertierte Kommandanten von Konzentrations- und Vernichtungslagern. Bis in die allerfinsterten Winkeln wurden die Arsenale an Mordrausch, an surrealen Sadismus, an Infamie, genützt: Nach einem maßlosen Weltkrieg, für deren Ausbruch und Dauer die Nazis allein verantwortlich waren, trieben sie das verblendete, »Deutschland, Deutschland über alles", in einen beispiellosen, unheroischen Untergang und in eine furchtbare Selbstzerstörung. Jetzt kam die österreichische Wiedergeburt, die sogenannte Stunde null, die genau dies, natürlich für weite Teile der Bevölkerung nicht sein konnte, denn die geistige und faktische Brutalität, der deprimierende Selbstverrat an dem, was man gestern noch bejubelt hatte, die Menschenverachtung, die für Millionen Untertanen in allen Gauen, das Deformationsergebnis der Naziherrschaft waren, konnte, selbstverständlich, bei Gründung der zweiten Republik nicht durch drücken einer Löschtaste zum Verschwinden gebracht werden, sondern gärte in den Köpfen, Gedanken und Verhaltensweisen Vieler weiter, und wie wir wissen, in Splittern und Balken, tragischerweise bis zum heutigen Tag. Wir verdanken unsere Befreiung den Alliierten Armeen. Die Menschen in Österreich wären nicht in der Lage und lange Zeit auch gar nicht willens gewesen, sich aus eigener Kraft zu befreien. Eine Mehrheit begrüßte die Demokratie dankbar als Erlösung, aber für die, auf den Trümmern ihres Fanatismus und Irrglaubens gestrandeten, war die Demokratie der Symbolraum ihrer Demütigung. In dieser, von diametralen Haltungen, bestimmten Situation, waren sich, merkwürdigerweise, alle politischen Gruppierung weitgehend darüber einig, die verjagten, beraubten, vogelfrei gewesenen Juden, sofern sie nicht in den Konzentrationslagern und anderswo ermordet wurden, nicht einzuladen nach Österreich zurückzukehren, um am moralischen, kulturellen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes mitzuwirken. Es gab auch kaum Schuldgefühle ihnen gegenüber. 1991, 46 Jahre nach dem Ende der Naziherrschaft, fand durch Bundeskanzler Vranitzky das erste österreichische Schuldeingeständnis statt und die Einladung an die Juden zurückzukehren. Verehrte Zuhörer, es brauchte ungeheuren Todesmut und Prinzipientreue, um während des Terrors der Nazizeit in den Widerstand zu gehen oder sich auch nur in bestimmten, schwierigen Situationen anständig und charaktervoll zu benehmen. Vergessen wir nicht, dass am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft nicht Ausschwitz, sondern die Ausgrenzung von Menschen, die als störend, als schädlich betrachtet wurden, stand. Den jungen Zuhörern möchte ich weitergeben, was mir Bruno Kreisky bei unserem ersten Gespräch 1970 eindringlich sagte: "Für dich und alle aus deiner Generation in Österreich, die ihr die Gnade hattet, in Frieden, Freiheit und Wohlstand aufzuwachsen, darf schon aus Dankbarkeit für euer Glück, die Feigheit keine Option sein. Und seid gefälligst euer Leben lang solidarisch mit den Schwachen und jenen, die Unrecht ausgesetzt sind." Verehrte Zuhörer, von dem wofür der Nationalsozialismus stand, muss die Demokratie das genaue Gegenteil sein. Jede demokratisch legitimierte Regierung hat die oberste Verpflichtung, die Grundlagen ihrer Existenz, eben die Demokratie und deren Verfassung, in all ihren Facetten zu ehren und zu behüten. Also vor Schwächung und Unterhöhlung zu bewahren. Etwa das kostbare Gut der freien Berichterstattung in unabhängigen Medien. Das gilt nicht nur für den ORF, aber für den ganz besonders. Demokratie sollte immer ein Schauplatz für Aufrichtigkeit sein. Ich möchte gerne ein, seit Brot und Spiele, uraltes Phänomen beleuchten: Den Populismus. Die Probleme dieses, an Schönheit, an Qualität, an Chancenreichtum, so unermesslich großartigen und durch die menschliche Dummheit, Gier, Bösartigkeit und dumpfe Ignoranz so sehr gefährdeten Planeten haben sich aber keine Camouflage verdient, kein Leugnen der, mit mindestens 400. 000 Toten im Jahr zu Buche stehenden, Klimakatastrophe, denn es gibt keinen Zweifel: wir vergiften die Erde, wir verseuchen die Flüsse und wir verpesten die Luft. Kein Leugnen des Endes der Vollbeschäftigung, aufgrund von Digitalisierung und Robotisierung, kein Leugnen, dass eine zentrale Grundlage unseres Wohlstandes und Komforts, vom Handy bis zur Jeans, das Elend und die skrupellose Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern, darunter zahllosen Kindern, in der Dritten Welt sind. Allein 48 Millionen von ihnen sind Sklaven. Herrschaften! Wir leben an einem der sichersten, reichsten und insgesamt privilegiertesten Plätze der Welt. Wir haben den Haupttreffer in der Geburtsort-Lotterie gewonnen. Nun müssen wir bereit sein, faire Preise zu bezahlen und permanent, etwas abzugeben und mit jenen zu teilen, die etwa von den katastrophalen Umständen in ihren Ländern zur Flucht gezwungen sind. Diejenigen unter Ihnen die, eventuell, dieser Analyse nicht zustimmen, bitte ich höflich, orientieren Sie sich noch einmal an den schonungslosen Fakten und gestatten Sie sich einen Lernprozess und eine Verwandlung. Tun Sie dies aus Liebe zu Ihren Kindern und Ihren Enkeln. Es ist in der Politik und im Leben überhaupt keine Schande, wenn man sich einmal irrt. Man sollte Irrtümern nur wider besseres Wissen nicht treu bleiben. Erlauben Sie mir Ihnen noch eine Merkwürdigkeit aus meinem Leben zu erzählen. Ich dachte Jahrzehnte lang, ich wäre etwas Besseres als andere. Klüger, begabter, amüsanter, zum Hochmut berechtigt. Ich war arrogant, selbstverliebt, ständig andere bewertend und es tat mir nicht gut, bis ich eines Tages in einem Wagon der Londoner U-Bahn um mich schaute. Da saßen und standen unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichster Hautfarbe und ich hörte unterschiedlichste Sprachen: In einer Art von Blitzschlag in mein Bewusstsein, erkannte ich, dass jede und jeder von diesen Frauen und Männern, alten und jungen, hoffnungsfrohen und verzweifelten, auch ich selbst bin und nicht Deutsch, Englisch, Russisch, Chinesisch, Spanisch, Arabisch oder Swahili unsere wirkliche Muttersprache ist, sondern die Weltmuttersprache ist und sollte das Mitgefühl sein. Es ermöglicht uns in jedem anderen, uns selbst zu erkennen und mit ihm innigst und liebevoll verbunden zu sein und diese Erkenntnis in weiterer Folge in all unseren Gedanken und Taten zu berücksichtigen. Mitgefühl! |
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