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    Verbotene Wörter und Reizwort-Alarmismus: Die korrigierte Literatur   zum Nachlesen! 

Anton Thuswaldner - Presse  2018-11-30    
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Dass Huckleberry Finn nicht mehr „Nigger“ sagen durfte, war erst der Anfang. Über Reizwort-Alarmismus, Putztrupps zur Reinhaltung der Sprache und literaturpolizeiliche Führungszeugnisse für Autoren. Ein Befund.
Literatur ist unerwünscht. In den Schulen braucht es starke Lehrer, die gegen die Unvernunft der Lehrplanaustüftler ihre Schüler dazu ermuntern, sich mit literarischen Texten zu beschäftigen. Wir bekommen es mit einer Generation zu tun, die Kultur vom Hörensagen kennt und von historischen Zusammenhängen und Epochenbegriffen nichts weiß.


Literatur ist unerwünscht. In den Schulen braucht es starke Lehrer, die gegen die Unvernunft der Lehrplanaustüftler ihre Schüler dazu ermuntern, sich mit literarischen Texten zu beschäftigen. Wir bekommen es mit einer Generation zu tun, die Kultur vom Hörensagen kennt und von historischen Zusammenhängen und Epochenbegriffen nichts weiß. Ein Sprachwissenschaftler meinte kürzlich, dass man an den Universitäten den Jugendlichen erst einmal klarmachen müsse, dass die Romanik vor der Romantik komme. Was sich hinter diesen Bezeichnungen dann allerdings verberge, dürfe nicht als bekannt vorausgesetzt werden.

Wer sich heute gegen die von der Politik vorgelebte Marginalisierung von Literatur wehrt, braucht nicht nur den Mut zu einem starken Individualismus, dem wird auch noch rebellisches Verhalten nachgesagt. Denn das haben die neokonservativen Marktheiligen immerhin verstanden: dass in Literatur reichlich Potenzial steckt, den Jasagern den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Mit beachtlicher Sorglosigkeit werden Experimente an jungen Menschen betrieben. Was für ein Menschenschlag kommt heraus, wenn wir ihn von Bildung fernhalten, ihm das eigene Denken erschweren und ihn zu einem funktionstüchtigen Maschinchen umarbeiten? Unbildung ist chic geworden, sie darf sich sogar im Recht fühlen. Keine Scham, nirgends.

Nichts zu wissen wird locker abgetan als lässliches Vergehen. Bildung wird als überkommen gehandelt, weil das, was ich wissen will, sowieso via Smartphone jederzeit abrufbar ist. Bildung als eine Art „Millionenshow“, reduziert auf frei im Raum fluktuierende Informationsmonaden. Dass diese etwas miteinander zu tun haben könnten, dass Zusammenhänge herstellbar sind, bleibt verborgen.

Der schwindende Respekt vor Bildung hat Folgen. Möchte man jemanden ernsthaft verletzen, genügt es, ihm den Vorwurf zu machen, ein Bildungsbürger zu sein. Wenn Respekt vor Bildung für überflüssig gehalten wird und die Gesellschaft mitzieht, zieht selbstverständlich Rüpelhaftigkeit in die Politik ein. Populismus ist das anschauliche Ergebnis. Das lässt sich anhand von vier Beispielen nachweisen. Sie legen nahe, dass etwas schiefläuft in unserer Absicht, politisch unbedingt korrekt zu sein.

Politische Korrektheit unter Gruppenzwang ohne notwendigen Bildungshintergrund bringt merkwürdige Ergebnisse hervor. Dabei ist die Vorgeschichte politischer Korrektheit in jedem Fall respektabel. Die Kritiker fahrlässigen Umgangs mit unserer Sprache haben sich gute Argumente zurechtgelegt. Sprache kann verletzen, deshalb wird sie wirksam als Waffe eingesetzt, um Gegner zu schmähen, Randgruppen zu demütigen und den Wert des Einzelnen kleinzureden. Mit Sprache werden Machtverhältnisse festgeschrieben, über die man gar nicht lang zu reden braucht, weil ein einziges Wort eine Herabwürdigung bedeuten kann. Wird solch ein Wort gesellschaftsfähig, steht es schlecht um die Moral einer Gesellschaft, die auf Automatismen reagiert. Hat sich das Wort „Neger“ im Sprachgebrauch eingebürgert, schwingt Minderwertigkeit der gemeinten Person stillschweigend mit. Einzelne Wörter sind Richter und Henker, sie sprechen Urteile und lassen diese ausführen. Und niemand ist schuld, weil sie einer gesellschaftlichen Übereinkunft entsprechen, die vor unserer Zeit getroffen wurde.

Diese Übereinkunft, wenn notwendig, aufzukündigen, haben sich so sprachbewusste wie politisch hellhörige und vom Streben nach Gerechtigkeit angetriebene Persönlichkeiten vorgenommen. Damit zollen sie all jenen Respekt, die sich so lange beleidigt fühlen durften, weil ihnen aus einer herrischen Sprache der faule Atem der Missachtung entgegenschlug. Also wurden einzelne Wörter geächtet und aus dem aktuellen Sprachverband ausgeschlossen. Gibt es dagegen etwas zu sagen? Gewiss nicht. Die Begriffe „Zigeuner“ und „Neger“ haben ausgedient, und nichts geht uns dadurch ab.

Dass wir etwas gar vorsichtig geworden sind, erkennt man daran, dass wir verschämt vom „N-Wort“ reden, um uns durch das Wort „Neger“ nur ja nicht den Mund zu versengen. Wir könnten in ein politisches Eck gestellt werden, in welches freiwillig zu begeben uns nie einfallen würde. Was so optimistisch angefangen hat, dass, wenn wir nur die Sprache rein halten würden, das Bewusstsein schon mitziehen und eine Reinheit der Gedanken eine freundlichere Welt schaffen würde, hat sich allerdings bald ins Absonderliche gedreht.

Beispiel eins. Rund 100 Jahre nach dem Tod von Mark Twain im Jahr 1910 sind in den USA seine beiden bekanntesten Bücher um Tom Sawyer und Huckleberry Finn in einer politisch korrekten Fassung erschienen. Zwei „schädliche Beiworte“ wurden eliminiert und durch unverfängliche ersetzt. „Nigger“ wurde durch „Sklave“ ersetzt und „injun“, was der „Rothaut“ entspricht, durch „Indianer“. Was wie ein kleiner Eingriff in zwei groß angelegte Bücher aussieht, der weiter nicht auffällt, bedeutet in Wahrheit eine Geschichtsverleugnung.

Protest legte auch umgehend der schwarze Bürgerrechtler Ishmael Reed ein, der den Umschreibern vorwarf, Mark Twain gar nicht verstanden zu haben: „Sie würden feststellen, dass der ,Nigger‘ Jim mehr Tiefgang und Profil hat als die Schwarzen, die man heute in Film, Theater und Literatur findet.“ Auf Anfrage gibt der Diogenes Verlag bekannt, dass er dieses Ausputzen der Sprache in den Übersetzungen nicht mitmachen wolle.

In diesem Jahr erschien bei Hanser der Roman „Lovecraft Country“ des amerikanischen Schriftstellers Matt Ruff. Er spielt in den Fünfzigerjahren in Massachusetts, wo es der Farbige Atticus Turner mit den Schrecken der Rassentrennung zu tun bekommt. Dass das eine Zeit war, in der man auf sprachliche Verfeinerung pfiff, kann man sich leicht vorstellen. Der durchschnittliche Rassist redete so, wie es seiner grobschlächtigen Art entsprach und wie es ihm von Generation zu Generation weitergereicht wurde. Im Hanser Verlag aber meldete sich eine sensible Rezensentin des Deutschlandfunks und gab empört bekannt, dass sie den Roman nicht rezensieren könne, weil darin das Wort „Nigger“ vorkomme.

Jetzt haben wir es nicht mit einem Fall von Respekt zu tun, den die Dame geschundenen Farbigen erweisen will, sondern mit einem eklatanten Fall von Geschichtsvergessenheit. Im Bewusstsein, mit ihrer retrospektiven beinharten Gesellschaftskritik die Menschlichkeit einen kleinen Schritt weiterzubringen, wurde ihr Denken durch einen Kurzschluss gestört. Natürlich muss in einem Buch, das sich die Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts zum Thema nimmt, um der aufgeheizten Atmosphäre zwischen Weißen und Schwarzen auf den Grund zu gehen, das Wort „Nigger“ vorkommen. Alles andere wären verlogen.

Es herrschten keine politisch korrekten Zeiten damals, und es ist anmaßend, den Figuren Matt Ruffs unsere so viel schlauere Weltsicht aufzudrängen, die wir uns im Lauf von Jahrzehnten so mühsam angeeignet haben. Der größte Fehler eines historischen Romans wäre, Vergangenheit nur als Kulisse für ein Personal aufzufassen, das so denkt und fühlt wie wir. Sie wären dann nur Variationen unseres Selbst, wo es doch darauf ankommt, Fremdheit stehen zu lassen. Wir müssen die Leute aus anderen Zeiten und anderen Kulturen nicht verstehen, wir müssen überhaupt nicht gut finden, was sie gedacht und wie sie gehandelt haben, aber wir dürfen sie nicht zu Sprechpuppen unseres eigenen Ichs degradieren.

Es genügt, wenn wir ihnen Respekt entgegenbringen, auch wenn wir ihre Ansichten nicht teilen. Ebenjenen Respekt, den nicht nur die literarischen Figuren, die für Haltungen in der Gesellschaft stehen, verdienen, sondern auch die Autorinnen und Autoren von früher. Sie sind nicht angewiesen darauf, dass wir sie verbessern, weil sie rüde gegen den vermeintlich so guten Geschmack von heute verstoßen haben. Natürlich dürfen Tom Sawyer und Huckleberry Finn „Nigger“ sagen, sie bleiben damit im Sprachgebrauch ihrer Zeit und ihres Umfeldes. Deshalb sind sie noch keine Rassisten.

Selbstverständlich dürfen sich auch Rassisten in der Literatur des Wortes „Nigger“ bedienen, dient es doch zur Charakterisierung einer Person und einer Haltung. Eine Kritikerin wie die oben erwähnte ist als historische Analphabetin Mitglied im Putztrupp zur Reinhaltung der Sprache bis weit in die Vergangenheit hinein. Sie zahlt es den bösen Schriftstellern ordentlich heim.

Beispiel zwei. An der Universität Illinois wurde Anfang Juni zum fünften Mal die sich über drei Tage erstreckende David-Foster-Wallace-Konferenz abgehalten. Der Autor, der 2008 im Alter von 46 Jahren Selbstmord beging, hielt sich längere Zeit dort auf und schrieb auch wichtige Werke in diesem Umfeld. Die Veranstalter gerieten unter Beschuss, weil sie damit laut einer Initiative gegen die Veranstaltung einen Mann würdigten, der ein verderbtes Leben führte, dem ordentlichen Amerikaner nicht zumutbar. Tatsächlich soll er Frauen verächtlich behandelt haben, sogar von einer Vergewaltigung ist die Rede.

Sein Übersetzer Ulrich Blumenbach dazu: „Wallace hatte viele Freundinnen, viele Partnerinnen, und er ist mit diesen Frauen nicht immer sehr sympathisch umgegangen. Also, er hat oft Beziehungen beendet mit einer Politik der verbrannten Erde.“ Dass es sich bei Wallace um einen einzigartigen Schriftsteller und einen miserablen Kerl gehandelt hat, steht außer Frage. Jetzt heißt es, dass das womöglich das letzte Symposion zu Foster Wallace gewesen sei. Die Moral hat sich durchgesetzt, das Gute hat gesiegt.

„Literaturpfaffen“ nannte Lothar Baier schon 1993 jene Soldaten der Ehre, die „tote Dichter vor dem moralischen Exekutionskommando“ sehen wollten. Der Autor, der heute Bestand haben will, benötigt ein einwandfreies, literaturpolizeilich beglaubigtes Führungszeugnis. Was er schreibt, ist nicht so wichtig, wenn er sich nur anständig aufgeführt hat.

Wie verächtlich fanden wir früher den sozialistischen Realismus, der edle Vorbildcharaktere aufweisen musste, um Leser in ihrem Inneren zu stärken und ideologisch aufzupäppeln. Nun greifen aber die Forderungen des sozialistischen Realismus auf die Biografie des Verfassers über. Die tugendhaften Räumkommandos von heute schauen gleich auf die Gesinnung des Autors – und wehe, die passt nicht. Wie sich auf Dauer ein Kanon von Weltliteratur gegen Literaturwissenschaftler, die sich als Schnüffler in geheimdienstlicher Sache umtun, behaupten kann, lässt sich schwer vorstellen. Die Trennung von Werk und Autor ist unter solchen Prämissen aufgehoben. Alles, was einer schreibt, verweist auf sein Leben und darf bei Bedarf gegen ihn verwendet werden. So sieht der Triumph des Schnüfflers über den Leser aus.

Beispiel drei. Gegen die Aufführung von Bernard-Marie Koltès' Stück „Kampf des Negers und der Hunde“ im Akademietheater Anfang Oktober wurden im Vorfeld Proteste laut. Der Vorwurf war zu vernehmen, dass durch die Verwendung des „N-Wortes“ Rassismus salonfähig gemacht würde. Es herrschte Reizwort-Alarmstimmung. Ein Wort, und schon setzte eine Abwehrhaltung ein, die sich mit dem literarischen Werk gar nicht mehr zu beschäftigen braucht. Wenn die Welt in Gut und Böse geteilt ist, ist es ein Leichtes, einen Autor abzuqualifizieren, weil er sich einer falschen Rhetorik bedient. Das gute Gewissen der Tugendwächter schlägt die schlimmen Wörter, auf deren Verwendung nicht weiter geachtet wird. Dann passiert es, dass man eigentlich Verbündete diffamiert, weil man deren Absicht aus reiner Ignoranz nicht erkennt. So spielen die Wohlmeinenden den Rechten in die Hände, die tatsächlich daran interessiert sein müssten, das Stück zu verbieten, werden doch die Mechanismen kolonialer Macht und die Erniedrigung der Schwarzen drastisch ausgestellt. Wer nicht lesen will, muss sich mit Ahnungen zufriedengeben.

Beispiel vier. Auf der Buchmesse in Frankfurt kam am Stand eines wissenschaftlichen Verlags die Rede auf Johann Jakob Bachofens Werk „Das Mutterrecht“ aus dem Jahr 1861. Eine Lektorin reagierte sofort überlaut, weil sie der Meinung war, dass über solch ein Thema ein Mann gar nichts zu sagen habe. Sie wünscht sich ein Sprechverbot für Männer, wenn es um Themen geht, das sie Frauen vorbehalten sieht. Und zwar ausschließlich Frauen. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die junge Frau ernsthaft mit dem inkriminierten Werk auseinandergesetzt hat, es ist mit 1000 Seiten sehr umfangreich und ausgesprochen theoretisch gearbeitet. Gewiss ist das Buch, vor mehr als 150 Jahren erschienen, nicht auf der Höhe der Forschung. Natürlich ist es zu kritisieren vom Standpunkt eines geschulten Lesers, einer geschulten Leserin aus und nicht, weil Bachofen angeblich in eine Domäne einbricht, die ausschließlich Frauen vorbehalten ist. Ein feministischer Rigorismus macht sich bemerkbar, der Denkverbote für Männer zu bestimmten Themen verhängt. So wird theoretisches Denken durch die Evidenz des Körpers ersetzt.

Geschichtsvergessenheit und Umschreibung von Geschichte, der Autor wird ausgespielt gegen sein Werk, ein Reizwort-Alarmismus, der inkriminierte Begriffe aufspürt, ohne auf ihren Kontext zu achten, und ein feministischer Rigorismus, der Denkverbot für Männer erteilt – keine guten Aussichten für einen Austausch vernünftiger Argumente.

Anton Thuswaldner

In Lienz 1956 geboren. Studium der Germanistik und Geschichte in Salzburg, Dr. phil. Literaturkritiker, lebt in Salzburg. Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik.
Zuletzt erschienen: „Mit dem Barock fängt alles an“ (Müry Salzmann).


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