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Neusprech und Gutdenk

Neusprech und Gutdenk


Im Schutz eines Tabus lebt es sich bequem, die Kritiker müssen schweigen.
Doch ganz ohne Denk- und Sprechverbote funktioniert keine Gesellschaft von Josef Joffe

Manche sprachlichen Verbote dürfen nicht überschritten werden, andere verhinden, dass Probleme beim Namen genannt werden

Manche sprachlichen Verbote dürfen nicht überschritten werden, andere verhinden,
dass Probleme beim Namen genannt werden  |  © David McNew/Getty Images


"Das wird man doch wohl mal sagen dürfen" ist das Aufbäumen der gepeinigten Seele; der Vater des Spruchs ist das Ressentiment, die Mutter die Angst. So denkt ES in mir, aber ich darf nicht. Was wir heute PC (Political Correctness) nennen, hieß früher "Tabu" – und Tabus sind so alt wie die Menschheit. Das Zweite Gebot war das allererste Sprachverbot: "Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen." Seitdem spricht kein frommer Jude das Wort "Gott" aus, sondern benutzt, sehr vorsichtig, etwa Haschem, "der Name".

Eine Gesellschaft ohne Tabus lässt sich nicht denken. Deshalb der Denkfehler des modernen, des aufgeklärten Menschen, der wähnt, frei von Fehlglauben und Selbstzensur zu sein. In Wahrheit ist auch er umstellt von Sprach- und Denktabus. Nur der Inhalt ändert sich.

Blicken wir hundert Jahre zurück. Nicht nur unkorrekt, sondern strafbar war die Majestätsbeleidigung, der Heinrich Mann mit dem Untertan ein ganzes Buch widmete. "Vaterlandsloser Geselle" war die probate Waffe gegen Internationalisten, "Nestbeschmutzer" und "Zersetzer", gegen Kritiker der Macht. "Konterrevolutionär" war im realen Kommunismus das Denkverbot schlechthin, manchmal das Todesurteil. Die Nazis waren Meister des Euphemismus – siehe "Sonderbehandlung" für "Völkermord".

George Orwell hat schon vor sechzig Jahren alles zum Thema PC in 1984 gesagt. Neusprech "wurde entwickelt, um die Vielfalt der Gedanken zu verringern". Gutdenk war "orthodoxes Denken", also richtiges im Sinne der Deutungshoheit-Besitzer. Was ist dann neu? Es ist der Pakt von Postmoderne und schlechtem Gewissen.

Postmodern (PM), ganz grob, ist die Verneinung objektiver Wahrheiten und die Verweigerung von Werturteilen, karikiert: "Mein Manga ist so gut wie dein Mondrian, deine Fuge nicht besser als mein Folksong." Das schlechte Gewissen, im Westen sehr viel stärker ausgeprägt als im Rest der Welt, macht sich an Sklaverei, Kolonialismus, Rassismus und Völkermord fest. Daraus folgt die richtige Parole: "Nie wieder!" Auch nie wieder Einteilung der Welt in Höher- und Minderwertige. Das gemeinsame Dach von PM und PC ist der Multikulturalismus, sozusagen ein globales Gleichstellungsgebot. Doch geht die Sache inzwischen viel weiter. Ein Kind des Gleichstellungsgebots ist das Verbot kollektiver Zuschreibungen, ein jüngeres die Gewährung oder Reklamierung eines Opferstatus für immer mehr Gruppen und Grüppchen.

Verwerflich sei es, einem Kollektiv Übles oder Minderwert nachzusagen, war das doch der Vorlauf von Diskriminierung und Verfolgung, Fremdherrschaft und Vernichtung. Solche Zuschreibungen führten vor gar nicht so langer Zeit in die Sklaverei, in den Gulag, ins KZ. Die Tabuisierung solcher Gruppen-Zuweisungen ist ein gewaltiger moralischer Fortschritt nach 1945; dagegen gibt es keine Argumente außer eben dem gequälten Aufschrei: "Das wird man doch wohl mal sagen dürfen…"

Wie uns aber Freud lehrte, haben Tabus die Tendenz, sich unaufhörlich auszuweiten. Ein beliebtes Sprachverbot transportiert das Wörtchen "Generalverdacht". Wer ihn pflegt, macht aus Zigeunern (neu: Sinti und Roma) "lichtscheues Gesindel", aus Türken "Schulabbrecher" und "Ehrenmörder", aus Muslimen "Terroristen", aus Frauen "Zicken", aus Arbeitslosen "Sozialschmarotzer", aus Homosexuellen "Aids-Mutterschiffe". Natürlich ist menschliches Denken ohne Kategorisierung unmöglich. Also muss "gerechte Sprache" her. Also verbietet das korrekte Denken alles Abwertende, außer bei rechten Scheusalen wie Bankern, Jägern, Machos und Kapitalisten.

Aus "Krüppeln" werden "Behinderte", aus Arbeitslosen "Hartz-IV-Empfänger", aus Schulversagern "bildungsferne Kinder", aus Armen "Benachteiligte". Längst ist im politisch korrektesten Land auf Erden, Amerika, eine kleine Sarkasmusindustrie entstanden. Doofe sind mentally challenged ("geistig herausgefordert"), Dicke sind horizontally challenged. Sprach-Verschlingungen durch "Gender-Mainstreaming" bleiben auch bei uns nicht aus, wie Max Goldt anhand der Phrase "sterbende Studierende" (nach einem Uni-Massaker) anmerkt. Wie kann man gleichzeitig sterben und studieren?

Mit dem Verbot des Herabwürdigens geht die Aufwertung des Opferstatus einher, was ebenfalls ein zivilisatorischer Fortschritt ist, wenn man an die klassischen Opfer von Krieg, Nazismus und Terror denkt. Oder an Frauen und Kinder, die einst klaglos, weil eingeschüchtert, den Missbrauch durch Höhergestellte hinnahmen. Ihnen allen gebührt Aufmerksamkeit, Anteilnahme und Genugtuung. Aber unkompliziert ist die Sache nicht. Denn mit Anerkennung entstehen Ansprüche, auch einklagbare, und Entlastungsargumente, die moralisch fragwürdig sind.

Das Problem beginnt schon bei einer scheinbar simplen Sache wie der korrekten Klassifizierung. Gerade hat ein Grieche eine schwedische Molkerei auf fünf Millionen Euro verklagt, weil sein Konterfei auf Bechern mit "türkischem Joghurt" zu sehen war – eine tödliche Beleidigung der Hellenen. Nicht alle Zigeuner wollen übrigens "Sinti und Roma" genannt werden, weder die Lalleri noch die Kalderasch, wie Jan Fleischhauer in Unter Linken anmerkt.

Gewährt die Gesellschaft freizügig Opferstatus, schafft sie auch wachsende Nachfrage (wie in der "angebotsorientierten Ökonomie"). Kriegen junge Mütter eine bezahlte Auszeit, wollen auch die Hausfrauen eine "Herdprämie". Ein Betriebskindergarten? Dann muss finanzieller Ausgleich für Schwule her, die den nicht nutzen können. Private Ansprüche werden so auf das Kollektiv abgewälzt, aber die Sache geht noch tiefer. Wer Opferstatus zugewiesen bekommt, trägt keine Verantwortung; es entsteht eine "Umschuldungsmoral" (Fleischhauer). So hat sich Österreich als "erstes Opfer des Faschismus" selber freigesprochen. In der DDR waren die Nazis von einem anderen Stern. Das war nicht ich, das war der.

Im ewigen Widerstreit zwischen Selbst- und kollektiver Verantwortung, zwischen "Ich bin, was ich tue und verantworte" und "Ich bin, was man mir angetan oder verweigert hat" ist der postmoderne Sozialstaat deutlich in die zweite Richtung gerutscht. Das ist in Fällen, wo Verachtung, Diskriminierung und unverschuldetes Unglück herrschen, nicht nur rechtens, sondern auch richtig. Sich aber über die Sarrazins und Westerwelles zu mokieren, löst die andere Hälfte des Problems nicht.
Was ist, wenn die Gruppe x hohe "Dysfunktionalitäten" aufweist, die wir einst Faulheit oder Erziehungsdefizite nannten?
Was nicht benannt werden kann, kann auch nicht behoben werden.

Und was ist, wenn der Gute Staat das Dysfunktionale mit falschen Anreizen befördert?

Das nennt man auf Neudeutsch moral hazard, das Belohnen von Verantwortungslosigkeit.

Bei Bankern und bei Menschen, die sich auf ihren Opferstatus berufen.


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