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Rauchen und der Terror der Tugend

Rauchen und der Terror der Tugend

In diesen Tagen ist "Glänzende Zeiten" erschienen, das neue Buch des ZEIT-Redakteurs Adam Soboczynski. Eine ironische Betrachtung unserer Welt in 29 Kapiteln. Ein Auszug.

Die Anzahl der Lokale, die ich ab und an aufsuche, ist zusammengeschrumpft auf ein paar ganz wenige, in denen man noch trinken und rauchen darf. Natürlich gibt es Bars, in denen man nur trinken darf und die einigermaßen gut besucht sind, nur geht man schon der Besucher wegen nicht dorthin, die, wie jeder weiß, von unglaublicher Langeweile und behäbiger Gewöhnlichkeit sind. Und natürlich verderben dort die Kinder, die neuerdings überall hin mitgebracht werden, da sie sich in derartigen Etablissements langweilen und herumzetern, die Stimmung.

Niemals würde man ja in Anwesenheit von Kindern einen Annäherungsversuch an eine Frau wagen, weil Kinder ja so unschuldig sind und gleich komisch und neugierig gucken und einen anstupsen. Und oft habe ich schon gedacht, dass die Paare, die mit Kindern immer in Cafés und in Bars herumsitzen, ihre Kinder eigentlich nur mitnehmen, um zu verhindern, dass andere Leute einander rauchend näherkommen, da sie selbst, erloschener Leidenschaft wegen, es den Leuten, die ohne Kinder da sind, einfach nicht gönnen, dass die einander sich näherkommen, weshalb sie jede Bar, die früher immer Ort der dunklen Geheimnisse, der schlüpfrigen Anbandelei und abwegigsten Frivolitäten gewesen ist, zum Kinderspielplatz verwandeln.

Überall hin werden ja heute die Kinder mitgebracht. Nicht so sehr, wie jeder weiß, weil die Eltern notgedrungen, mangels eines Babysitters, sie überall hin mitnehmen müssten, sondern weil sie, die man nur bemitleiden kann, stolz herumgezeigt werden sollen, Trophäen des gesunden Volkskörpers, die den kinderlosen Flaneur des lendenschwachen Sozialschmarotzertums bezichtigen. Mit grötmöglicher Umständlichkeit und Unachtsamkeit drängeln sich die Mütter und Väter heute mit ihren Kinderwagen in die Tram, entschleunigen so die Großstadt, enterotisieren sie durch das Geschrei ihres allen immerzu dreist präsentierten Nachwuchses, der sich ja gar nicht wehren kann gegen sein beständiges Ausstellen, Präsentieren und Vorführen.

In den wenigen Bars, in denen man noch rauchen und trinken darf, spricht man häufig, da sie ja so selten geworden sind, daröber, welch ein Vergnügen es ist, dass es noch Bars gibt, in denen man noch trinken und rauchen darf, gerade weil man weiß, dass man bald auch noch um dieses Vergnügen gebracht werden wird. Weil es ja den Leuten nicht reicht, dass es nur noch wenige Kneipen gibt, in denen man trinken und rauchen darf, nein, sie sollen ganz weg! Es muss ja immer gleich kurzer Prozess gemacht werden.

So sprachen auch der Freund, der erfolgreich etwas mit Kultur macht, und ich, als wir noch zu sehr später Stunde ein Lokal aufgesucht hatten, in dem man noch rauchen und trinken darf, und dass, nachdem wir bei mir bereits zwei ungute Flaschen Wein aus Südfrankreich getrunken hatten, erst einmal darüber, wie gut es doch ist, jetzt noch ein Lokal gefunden zu haben, in dem man noch rauchen und trinken darf.

Ich erzählte, obgleich ich vage wusste, dass ich ihm diese Geschichte schon mindestens einmal erzählt hatte, davon, dass ich vor einigen Jahren, als ich nach einem zweisemestrigen Studienaufenthalt in Amerika, der mir als entsetzlich, im Mindesten aber als völlig überflüssig erinnerlich ist, zurückgekehrt war, mir am Flughafen eine Flasche Bier kaufte, den IC bestieg, der in einem unterirdischen Trakt des Bahnhofs abfuhr, dass ich mich gleich in ein Raucherabteil setzte, mir eine Zigarette anzündete und schon kurz darauf dumpf, da mir die Zeitverschiebung zusetzte, hinaus auf eine unaufgeregte Landschaft mit sanften Hügeln schaute.

Dass man tatsächlich mit einer Flasche Bier rauchend im Zug sitzen konnte, sagte ich, ohne von den anderen Fahrgästen sogleich als verrohtes Subjekt wahrgenommen zu werden, sondern, im Gegenteil, als ein ganz gewöhnliches und zivilisiertes, schien mir zutiefst menschenfreundlich, etwas, das ich in dem Land, aus dem ich endlich entkommen war, schmerzlich vermisst hatte. Heute, sagte ich, würde ich niemals mit einer Flasche Bier das Abteil betreten, sogleich würde man nämlich als verrohtes Subjekt aufgefasst werden.

Es hatte mir in Amerika nie eingeleuchtet, sagte ich, nachdem wir endlich - wir saßen an der Bar - das Bier von einer etwas unbeholfen zapfenden jungen Frau hingestellt bekamen, dass die Parks um sieben Uhr abends verriegelt wurden, dass man in den Bars nicht rauchen durfte, dass man auf Straßen keinen Alkohol trank, dass man seine Volljährigkeit ausweisen musste, um ein Lokal zu betreten, dass es verpönt war, sich zu Fuß fortzubewegen, dass es also keine städtische Kultur mit Passanten gab, dass keine Züge fuhren, die weit voneinander entfernte Städte miteinander verbanden, dass die Schilder der wenigen öffentlichen Strände ungeheure Verbote anzeigten: kein Lagerfeuer, keine Glasflaschen, angemessene Kleidung, kein Rumhängen ("loitering"), und natürlich auch hier: weder Rauchen noch Trinken!

Europa, sagte ich, während wir auch schon, glaube ich, das zweite Bier bestellten, unterschied sich noch vor wenigen Jahren von Amerika darin, dass es die Angst vor dem Individuum mit seinen verlotterten Sitten und Süchten nicht kannte, dass es recht großzügig verfuhr mit unseren Fehlbarkeiten und Schwächen, dass es darauf setzte, dass sich das Alltagsverhalten erwachsener Menschen im Großen und Ganzen selbst regelt.

Woher nur stammt nun das entflammte Misstrauen, das uns seit einiger Zeit auch hier entgegenschlägt?, fragte ich den Freund. Und antwortete gleich selbst: Weil die Politiker begriffen haben, dass sie der Mehrheit schmeicheln können, wenn sie derart vormodernes Verhalten wie Rauchen und Trinken mit dem Terror der Tugend angehen. Der Staat, sagte ich, ohnmächtig wie er ist, da sein Einfluss mit der Globalisierung herabsinkt, trumpft als Sittenwächter auf. Er darf auf Applaus hoffen, wo er an den niederen Instinkten des Volkes rührt, auf diesem Feld erstrahlt er noch einmal wundersam tatkräftig.

Die verkommenen Eckkneipen des Arbeiters, sagte ich zu dem Freund, die von den zugezogenen Süddeutschen im Prenzlauer Berg als letzte Oasen der Ruhestörung und Versoffenheit argwöhnisch beäugt werden, braucht man nicht zu verbieten. Es reicht, ein Rauchverbot zu erlassen, das den Gepflogenheiten der sich am Schnaps tröstenden Schicht grob zuwiderläuft. Lustbarkeiten, die man sich selbst verkneift, um am nächsten Morgen ausgeschlafen und frisch rasiert im Architekturbüro zu erscheinen, gönnt man dem faulen Gesindel, das eh nur Steuergelder abgreift, gar nicht gerne, sagte ich. Wie man dem Kinderlosen nicht gönnt, dass er in Bars und Cafés noch das Abenteuer sucht und er das Bewundern fremder Leute Familienglück nicht als Gipfel seiner Freizeitgestaltung begrüßt. Alles, ja, man muss es so drastisch sagen, sagte ich, wirklich alles, was im Namen von Volksgesundheit und Umwelt als derzeit im Alltagsverhalten wünschenswert propagiert wird, fördert das Ressentiment und die Unterdrückung der Minderheit durch die Mehrheit. Ich habe kürzlich erst gehört, dass, glaube ich, die Schweden ein europaweites Verbot der Prostitution durchsetzen wollen. Es ist entsetzlich.

Verboten werden in manchen Bundesländern, wie ich las, schon der Verkauf von Alkohol an Tankstellen, verboten werden die Außengastronomie am frühen Abend und das Rauchen sogar draußen, auf dem Spielplatz etwa, was den großen Vorzug hat, vermute ich, sagte ich, dass die sonnenbankgebräunte Unterschichtenmutter mit ihren feisten Töchtern und Söhnen ihm lieber fernbleiben. Wie auch der kettenrauchende alleinerziehende Vater intellektueller Prägung nunmehr seinen Balkon vorziehen dürfte. Wie überhaupt die Unterschicht mit dem Intellektuellen die Laster teilt. Der Blick ist gerichtet auf die Dicken, die man dünn haben will, die Untüchtigen, die man tüchtig haben will, die Lesenden, denen man nützliche Arbeit an den Hals wünscht. Der untüchtige Hausmeister wird heute in gleichem Ausmaß verachtet wie der einsame Leser, dessen genussvolle Muße jedem Gehetzten als Affront entgegenschlagen muss.

Von besonderer Niedertracht, sagte ich dem Freund, sind die Statistiken, die man überall in der Zeitung oder im Netz über den volkswirtschaftlichen Schaden des Rauchens lesen kann. Schon die Zigarettenpausen, die der Arbeitszeit abgetrotzt werden, machen einen Schaden von soundso vielen Hunderten Millionen aus. Mit gleichem Recht aber, sagte ich, müsste man gegen jene Sekretärinnen vorgehen, die sich im Stundentakt das Make-up auffrischen und so immerzu ihre Arbeit unterbrechen, gegen die blasenschwachen Ministerialbeamten und gegen Ärzte, die sich zu oft in der Nase popeln, gegen diejenigen, die heimlich private E-Mails schreiben, und gegen die Verträumten, die zu oft aus dem Fenster schauen, ach, gegen alle.

Das "gegen alle" war dann doch etwas zu laut daher gesagt, die Bedienung rollte die Augen, der Freund klopfte mir scherzhaft auf die Schulter, wies freundlich, aber entschieden zum Ausgang, und ich sagte nur noch, als wir wieder hinaustrauten auf die Straße, die sich bereits im mahnenden Dämmerlicht abzeichnete, und ich mich gähnend streckte, dass jeder Nichtraucher eh nur ein Übergewichtiger mehr sei, gegen den man auch schon wieder etwas haben könne.

Aus: Adam Soboczynski "Glänzende Zeiten. Fast ein Roman.", Aufbau Verlag, Berlin 2010, 224 Seiten, 18,95 Euro


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